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imponierte uns: es stellte den hl. Christophorus in Riesengröße vor, wie er mit seiner heiligen Last durchs Wasser schreitet. Wir schritten über die „Weißenburger Linien“, betrachteten die „Weißenburger Höhen“ und wollten dann den berühmten Gaisberg hinansteigen. Ganz hinauf konnten wir nicht mehr kommen, weil wir um 5 Uhr auf der Bahn sein sollten. Doch konnten wir alles überschauen. Die drei oft genannten Pappeln sahen wir auch. Wie günstig war doch die Stellung der Franzosen! – Wir gingen zurück am Judenkirchhof vorbei, dann am christlichen, an welchen eine große Menge Soldatengräber, natürlich außerhalb der Mauer, sich anreihte. Das waren Gräber nicht von Gefallenen, sondern von solchen, die nach der Schlacht in Weißenburg gestorben sind: Deutsche, Franzosen und Turkos. Jedes Grab hat ein Kreuz, die Turkosgräber auf dem Kreuz den Halbmond! Als wir auf den schmutzigen, elenden Bahnhof zurückkehrten, empfing uns die frohe Nachricht, unser Zug käme von Winden hieher, wir brauchten nicht mehr zurück. Also warteten wir in der Restauration. Herr Professor Herz und unser Herr Hauptmann, der vom Kriegsministerium aus beim Spitalzug ist, hatten kreuz und quer telegraphiert und endlich das bewerkstelligt. Eine Stunde sollten wir warten, hieß es. Allein das ging ganz anders. Wir saßen nicht lange, da erhob sich ein solch furchtbarer Sturm, daß alle, die zugegen waren, beteuerten, nie so etwas erlebt zu haben. Die Gläser flogen draußen klirrend umher, das ganze Glasdach, mit welchem der Bahnhofplatz bedeckt war, wurde unter furchtbarem Getöse zertrümmert. Wir saßen schweigend, – unsere Herren gleichfalls ganz still, auch Herr Professor Herz faltete die Hände. In solchen Augenblicken kommt doch einem jeden das Gefühl des Nichts. Aber das Entsetzlichste von allem waren die Gespräche, die unter dem Brausen und Sausen etliche Herren führten; – sie waren von Schweinfurt und fuhren mit Proviant, ich weiß nicht, bis zu welcher Station in Frankreich. Sie führten gotteslästerliche Reden, die ein Chriftenohr tief verletzen mußten. Ich dachte an Jonas und sein Schiff, und daß doch da die Heiden alle ihren Gott anriefen. Aber die abgefallenen Christen sind viel schlimmer als Heiden.

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/193&oldid=- (Version vom 20.11.2016)