Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/184

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

meine liebste Mutter, die Angst und Sorge nicht denken, die uns in dieser Zeit bewegte, und nun die Freude, da es sichtlich besser geht. Ich war wirklich im ersten Augenblick ganz weg vor Freude, als ich an seinem Bette stand. Es war mir wie ein Traum. Und als ich ihm auf seine Frage, wie es uns gehe, erwiderte: „So gut, als es uns eben gehen kann ohne Sie“ und er in seiner gewöhnlichen scherzenden Weise meinte, ich sei eben immer höflich gegen ihn, und als er dann ganz einfach von Geschäftssachen anfing zu reden und versicherte, er liege eigentlich nur noch zwecklos zu Bette, – da bekam ich doch so einen bestimmten Eindruck, daß er selbst sich viel wohler fühlen müsse und wieder in sein tatenreiches Leben eingehen werde. – O Gott sei tausendmal gelobt! Er vergebe allen Kleinmut und alle Verzagtheit. Ich war so melancholisch resigniert. – Freilich über alle Berge sind wir nicht. Herr Pfarrer kann noch nicht aufstehen, hat noch keinen Appetit und wird noch lange der strengsten Schonung bedürfen. Aber wir wollen doch von nun an weniger auf die Ärzte, so treu sie sind, achten, als auf des Herrn barmherzige Hände, die Wunder tun können.

 Ich danke Dir für Dein liebes Brieflein und Messer und Farben. Schreib mir doch im nächsten Brief, was alles kostet, weil der Apostel befiehlt, man solle sich nichts schuldig bleiben als Liebe. Ja, ich Dir nichts schuldig bleiben! Ich werde Deine Schuldnerin bleiben allewege, auch wenn ich redlich Dir Messer und Farbe zahle. Aber da drinnen ist ein ewig dankbares Herz für Dich, meine liebste Mutter, und das mag in seiner Weise allmählich Schulden abzahlen.

Deine glückliche Tochter Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 5. Januar 1870

 Meine liebste Mutter, nimm jetzt noch meine innigsten Glückwünsche zum neuen Jahr! Der Herr gehe mit uns hinein ins Jahr 1870, so gewiß als Er mit Seinem Volke Israel zog in der Wolken- und Feuersäule. Drum können wir auf alle Fälle getrost sein, es mag gehen, wie es will.

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/184&oldid=- (Version vom 20.11.2016)