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wollte ich Dir Deinen Aussegnungstag beschreiben, den schönen, da man die heilige Festgeschichte las und wir im Geiste mit Maria auf die Höhen Judas gingen, da Du in Deinem Diakonissenleben auch auf eine Höhe stiegest, die Du nimmer mit tiefen Talen vertauschen sollst. Beschreiben wollte ich Dir, wie wir Dich schmückten mit dem bräutlichen Schleier und Dich zum Altar führten als eine Erstlingsgabe am Morgen des 2. Juli. Betend und opfernd – das war ja die Meinung – sollte nicht nur der Schwesternchor, sondern auch die ganze Schar der ehemaligen Schülerinnen stehen, damit die Gabe von Ihm gnädig angesehen, das Opfer gereinigt und geheiligt und – angenommen werden sollte. Erinnern wollte ich Dich an die ernsten Worte unseres Beichtvaters, die er Dir damals sagte, die ja wohl nicht flüchtig unser Ohr umtönten, die wir aber dann doch nicht so festgehalten, wie wir gerne gewollt, weder mit dem Gedächtnis noch mit – Taten und Leben. Persönlich sollst Du Ihm Dich hingeben, Ihn persönlich meinen mit Deinem Dienst. Wohl sollst Du Dein Häuslein zurichten, so daß alle Welt sich darüber freut, daß es aussieht, wie aus dem Ei geschält, daß Pfarrer Blumhardt kommen kann und sagen: „Ei, Mariele, Du haschts aber recht schö“, aber wehe Dir, wenn Du damit Dich selber und nicht Ihn meinst. Du könntest mit all den Werken der Barmherzigkeit zum Teufel fahren. Aber, o ein gesegneter Gang, wenn Du das Wahrzeichen der Diakonissin, ihr unterscheidendes Merkmal nicht wegtäuschst, wenn Du Deine Werke Deinem Herrn tust. Nicht Armut und Gehorsam, nicht Keuschheit und Friedfertigkeit sind das besondere Teil der Diakonissin, die vier hohen Tugenden sind Gemeingut aller Christen; aber um Seinetwillen die Kinder lieben, die sonst nicht liebenswürdig sind, um Seinetwillen den Kranken dienen, vor denen die Natur sich scheut, um Seinetwillen von all dem Elend auf Erden gezogen werden wie von lauter Magneten, das soll der Charakter der Diakonissin sein. ...Erinnern wollte ich Dich auch, daß eine Hand segnend auf Deinem Haupte ruhte, die wir nun nicht mehr fassen können; aber die Selige, der sie gehörte, ist sicherlich Deine und unser aller Fürbitterin geworden. Sieh, das alles wollte ich Dir sagen, und ’s ist nicht gelungen. Nimmst Du nicht den Willen für die Tat?

Deine Therese.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/168&oldid=- (Version vom 10.11.2016)