Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/138

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wie einen mächtigen Strom. Ich bin ganz müde, wenn ich ihm zugehört habe, denn er sprudelt mit einem Hauptsatz 25 Nebensätze heraus in so eiligem Fluge, daß sie einem zuweilen entschwinden... Herzlich grüßt Dich

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 19. November 1863

 Herzlich geliebte Mutter, was mußt Du doch von uns denken, daß wir so gar still schweigen und nun nicht einmal zu Deinem Geburtstag einen Brief haben eintreffen lassen. Wenigstens soll heute noch der Brief geschrieben werden. Meine liebste Mutter, was soll ich Dir zunächst an Deinem Geburtstag anderes sagen, als daß Dir unser lieber Vater im Himmel hundert- und tausendfältig lohnen wolle, was Du an uns, was Du auch an mir getan hast. Ich habe dies, glaube ich, öfters schon gesagt, wie schmerzlich mir das ist, daß ich gerade zu der Zeit, da ich vielleicht zu Verstand gekommen wäre, von Dir wegkam und also nie so recht das Glück hatte, Dir in kindlichem Dienst gleiches vergelten zu können. Jetzt kann ich nichts tun als für Dich beten und Dich lieben und Dir allenfalls meine Liebe und meine Dankbarkeit mit der Feder aussprechen. Aber es kommen schon andere Zeiten. O wie freue ich mich, wenn ich im Himmel allen meinen Wohltätern ordentlich werde danken können! Nicht wahr, dann dankst Du mit mir meinen treuen Führern auf Erden: Herrn Kirchenrat und Herrn Pfarrer. Was wäre aus mir geworden, wenn nicht so treulich für mich gesorgt worden wäre! Gottes Barmherzigkeit war wohl damals über mir, als er Dir und dem lieben Vater eingab, mich nach Augsburg zu tun, und noch mehr, als Du zu dem Entschluß kamest, mich nach Dettelsau ziehen zu lassen. Habe auch Dank, daß Du Deine Einwilligung zum Diakonissinwerden gabest. Kein seligerer Weg für mich als der, und umso gesegneter, je ernster er wird. Das wird er aber je mehr und mehr, auch dadurch, daß unser Werk unabhängiger wird von dem, der der menschliche Gründer desselben ist. Herr Pfarrer war so sehr die Seele des Ganzen, daß es uns einzelnen hat schwer werden können, zu unterscheiden, wie sehr wir an der puren Diakonissensache hangen und wie viel bei

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/138&oldid=- (Version vom 10.11.2016)