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gut und die alte Kraft noch nicht wiedergekehrt, aber Herr Pfarrer will nicht mehr länger von seiner Gemeinde wegbleiben, auch nichts von einem Bade wissen, das er nach wiedererlangter größerer Kraft gebrauchen sollte. Er schreibt in mehreren Briefen: „Kein besserer Ort für mich als Dettelsau, ich lebe, leide oder sterbe.“ Du wirst Dir denken können, was es immer für eine Freude war, wenn ein Brief vom Hohen Peißenberge heruntergeflogen kam. Herrn Pfarrers Briefe verrieten die tiefe Melancholie seiner Seele, die eigentlich immer vorhanden ist und einem nur bei flüchtigem Umgang vor dem erworbenen Humor entschwinden kann. „Ich schaue auf das trübe Gelände meines Lebens“, schreibt er einmal, „wehmutsvoll, doch auch getrost wegen Dessen, Der mich nicht der ewigen Verdammnis dahingegeben hat, sondern Friede und Freude des ewigen Lebens mir in die Seele gelegt.“ – Es muß auf dem Hohen Peißenberg entzückend schön sein, doch meint Herr Pfarrer, es sei der Dettelsauer Wald auch recht schön, und Herr Dr. Laurent, der zuweilen auf besondere Naturschönheiten aufmerksam mache, bekomme nicht selten zur Antwort: „O das haben wir daheim alles gerade so.“ Ganz rührend waren mir in einem Briefe an Herrn Inspektor Bauer die einzelnen Grüße, die fast eine Seite des nicht sehr langen Briefes ausmachen. Unwillkürlich ward ich beim Lesen an das 16. Römerkapitel erinnert, besonders wegen der Beisätze zu den einzelnen Namen der Gegrüßten. Herr Pfarrer scheint in kranken Tagen und in Briefen so ganz anders zu sein als sonst. Der Ferne, Gefürchtete, der mit einem oft eisernen Willen seine Sache Durchführende, der (natürlich mit vollem Recht) keinen Widerstand duldet, wo ihm seine Ansicht als die richtige erscheint, wird in Krankheit und in Briefen auf einmal mild und weich, annahend und liebevoll, fast mehr als dies. Wir sind, was die geistliche Weide anlangt, wohl versorgt und dürfen dankbar sein; aber das einzige Verhältnis, das zwischen einem wirklichen Beichtvater und seinen Kindern existiert, kann durch nichts auf der Welt ersetzt werden. ...Ida hat eines von den geistlichen Sturzbädern, respektive Zezschwitzischen Predigten, mit erlebt. Herr von Zezschwitz hat eine ganz hinreißende Beredsamkeit und eine Fülle feiner, tiefer Gedanken, die er heraussprudelt

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/137&oldid=- (Version vom 10.11.2016)