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Wir haben außer der zu uns gehörigen Blöden- und Pfründenanstalt auch die beiden Filiale Reuth und Haag übernommen. Es ist ein ziemlicher Eifer da, die Kranken und Armen zu besuchen und ihre Nöte zu erkunden. Von dem einen Drittel unserer Klingelbeuteleinlage werden Unterstützungen gespendet. In der letzten Zeit dringt Herr Pfarrer besonders darauf, daß man die Bücher der Armen ins Auge fasse; oft haben sie Verkehrtes, oft fehlt alles. Man ließ dieser Tage etliche „Brastberger“ (dieses Predigtbuch empfiehlt Herr Pfarrer für die Bauern. Luthers Postille verstünden sie nicht) und „Starkenbücher“ kommen. Dieses Gebetbuch sei den Bauern nützer als die Samenkörner. Obwohl die Gebete in beiden Büchern in gar keinen Vergleich zu stellen sind, sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten, so ist doch das Starkenbuch in unsern Zeiten, unter unseren Leuten vorzuziehen; denn es hat den großen Vorteil, daß jedem Gebet eine Betrachtung vorausgeht, durch welche man sich in die Gebetsstimmung hineinlesen kann. Und das braucht so ein Weib, das eben sein Vieh gefüttert hat und nun beten will. Die Gebete in den Samenkörnern setzen alle eine inwendige Sammlung und Feier der Seele schon voraus.

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 Diese Woche (es ist heute Sonntag Estomihi) sauste wie jede an mir vorüber, eh ich mich recht besinnen konnte. Ganz gewiß, es vergeht nirgends die Zeit so schnell wie in Dettelsau. Neulich hat Herr Inspektor Bauer dieselbe Bemerkung ausgesprochen, und Herr Pfarrer erwiderte darauf: „Ja, das macht, weil wir so viel zu tun haben. Wenn wir morgens aufstehen und uns besinnen, was für Arbeit vor uns liegt, so ist’s immer drei- bis viermal mehr, als wir ausrichten können. Darum liegt uns auch die Gefahr so nah, daß wir über dem Arbeiten das Beten vergessen. Wie wird uns die Stille in unserm neuen Betsaal so wohl tun!“ – Bis jetzt dauert nämlich die Arbeit im Betsaal, und erst nächsten Sonntag hoffen wir, ihn ungestört beziehen zu können. Das Anstreichen der Bänke, das Setzen der Öfen etc. verzögerte die Sache so. Dafür haben wir dann aber auch ein Gotteshaus, so lieblich und schön, daß man uns beneiden könnte, – nein, lieber will ich sagen, daß Du nun einen Anziehungspunkt mehr hast im Frühjahr hierher zu kommen. In der Fastenzeit wollen

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/105&oldid=- (Version vom 10.11.2016)