voll ins Auge fassen zu können. So kamen sie an einen freien, haidebewachsenen Platz mit einer weit ins Land reichenden Aussicht. Reinhardt bückte sich und pflückte etwas von den am Boden wachsenden Kräutern. Als er wieder aufsah, trug sein Gesicht den Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes. Kennst du diese Blume? sagte er.
Sie sah ihn fragend an. Es ist eine Erica. Ich habe sie oft im Walde gepflückt.
Ich habe zu Hause ein altes Buch, sagte er; ich pflegte sonst allerlei Lieder und Reime hineinzuschreiben; es ist aber lange nicht mehr geschehen. Zwischen den Blättern liegt auch eine Erica; aber es ist nur eine verwelkte. Weißt du, wer sie mir gegeben hat?
Sie nickte stumm; aber sie schlug die Augen nieder und sah nur auf das Kraut, das er in der Hand hielt. So standen sie lange. Als sie die Augen gegen ihn aufschlug, sah er, daß sie voll Thränen waren.
Elisabeth, sagte er, — hinter jenen blauen Bergen liegt unsere Jugend. Wo ist sie geblieben?
Sie sprachen nichts mehr; sie gingen stumm neben einander zum See hinab. Die Luft war schwül, im Westen stieg schwarzes Gewölk auf. Es wird Gewitter, sagte Elisabeth, indem sie ihren Schritt beeilte. Reinhardt nickte schweigend und beide gingen rasch am Ufer entlang, bis sie ihren Kahn erreicht hatten.
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)