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an; Schneidergesellen und Friseure, und derlei luftiges Gesindel.

Reinhardt sagte: Sie werden gar nicht gemacht; sie wachsen, sie fallen aus der Luft, sie fliegen über Land wie Mariengarn, hierhin und dorthin, und werden an tausend Stellen zugleich gesungen Unser eigenstes Thun und Leiden finden wir in diesen Liedern; es ist, als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.

Er nahm ein anderes Blatt: Ich stand auf hohen Bergen ....

Das kenne ich! rief Elisabeth. Stimme nur an, Reinhardt; ich will dir helfen. Und nun sangen sie jene Melodie, die so räthselhaft ist, daß man nicht glauben kann, sie sei von Menschen erdacht worden; Elisabeth mit ihrer etwas verdeckten Altstimme dem Tenor secondirend.

Die Mutter saß inzwischen emsig an ihrer Näherei, Erich hatte die Hände in einander gelegt und hörte andächtig zu. Als das Lied zu Ende war, legte Reinhardt das Blatt schweigend bei Seite. — Vom Ufer des Sees herauf kam durch die Abendstille das Geläute der Heerdenglocken; sie horchten unwillkürlich; da hörten sie eine klare Knabenstimme singen:

Ich stand auf hohen Bergen,
Und sah ins tiefe Thal ....

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)