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traten in einen geräumigen Gartensaal, der durch das Laubgedränge, welches die gegenüber liegenden Fenster bedeckte, zu beiden Seiten mit grüner Dämmerung erfüllt war; zwischen diesen aber ließen zwei hohe, weitgeöffnete Flügelthüren den vollen Glanz der Frühlingssonne hereinfallen, und gewährten die Aussicht in einen Garten mit gezirkelten Blumenbeeten und hohen steilen Laubwänden, getheilt durch einen geraden breiten Gang, durch welchen man auf den See und weiter auf die gegenüberliegenden Wälder hinaussah. Als die Freunde hineintraten, trug die Zugluft ihnen einen Strom von Duft entgegen.

Auf einer Terrasse vor der Gartenthür saß eine weiße, mädchenhafte Frauengestalt. Sie stand auf und ging den Eintretenden entgegen; aber auf halbem Wege blieb sie wie eingewurzelt stehen, und starrte den Fremden unbeweglich an. Er streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. Reinhardt! rief sie, Reinhardt! Mein Gott, du bist es! — Wir haben uns lange nicht gesehen.

Lange nicht, sagte er, und konnte nichts weiter sagen; denn als er ihre Stimme hörte, fühlte er einen feinen körperlichen Schmerz am Herzen, und wie er zu ihr aufblickte, stand sie vor ihm, dieselbe leichte zärtliche Gestalt, der er vor Jahren in seiner Vaterstadt Lebewohl gesagt hatte.

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)