So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft
zu still, er war ihr oft zu heftig, aber sie ließen deshalb
nicht von einander; fast alle Freistunden theilten
sie, Winters in den beschränkten Zimmern ihrer Mütter;
Sommers in Busch und Feld. —— Als Elisabeth einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schullehrer
gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den
Tisch, um den Eifer des Mannes auf sich zu lenken.
Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhardt verlor alle
Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; statt
dessen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er
sich selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister
mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube;
der Adler gelobte, an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein würden.
Dem jungen Dichter standen die Thränen in den Augen;
er kam sich sehr erhaben vor. Als er nach Hause gekommen
war, wußte er sich einen kleinen Pergamentband
mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf
die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein
erstes Gedicht. — Bald darauf kam er in eine andere
Schule; hier schloß er manche neue Kameradschaft mit
Knaben seines Alters; aber sein Verkehr mit Elisabeth
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)