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Steig nach einer Lindenlaube; davor zwischen zweien Kirschbäumen hing eine Schaukel; zu beiden Seiten der Laube an der hohen Gartenmauer standen sorgfältig aufgebundene Aprikosenbäume. - Hier konnte man Sommers in der Mittagsstunde deinen Urgroßvater regelmäßig auf- und abgehen sehen, die Aurikeln und holländischen Tulpen aus den Rabatten ausputzend oder mit Bast an weiße Stäbchen bindend. Er war ein strenger, accurater Mann mit militärischer Haltung, und seine schwarzen Augbrauen gaben ihm bei den weißgepuderten Haaren ein vornehmes Ansehen.

So war es einmal an einem August-Nachmittage, als dein Großvater die kleine Gartentreppe herabkam; aber dazumalen war er noch weit vom Großvater entfernt. - Ich seh’ es noch vor meinen alten Augen, wie er mit schlankem Tritt auf deinen Urgroßvater zuging. Dann nahm er ein Schreiben aus einer sauber gestickten Brieftasche und überreichte es mit einer anmuthigen Verbeugung. Er war ein feiner junger Mensch mit sanften freundlichen Augen, und der schwarze Haarbeutel stach angenehm bei den lebhaften Wangen und dem perlgrauen Tuchrocke ab. - Als dein Urgroßvater das Schreiben gelesen hatte, nickte er und schüttelte deinem Großvater die Hand. Er mußte ihm schon gut sein; denn er that selten dergleichen. Dann

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)