Während der letzten Jahre meines Schulbesuchs wohnte
ich in einem kleinen Bürgerhause der Stadt, worin
aber von Vater, Mutter und vielen Geschwistern nur
eine alternde unverheirathete Tochter zurückgeblieben
war. Die Eltern und zwei Brüder waren gestorben,
die Schwestern bis auf die jüngste, welche einen Arzt
am selbigen Orte geheirathet hatte, ihren Männern in
entfernte Gegenden gefolgt. So blieb denn Marthe
allein in ihrem elterlichen Hause, worin sie sich durch
das Vermiethen des früheren Familienzimmers und mit
Hülfe einer kleinen Rente spärlich durchs Leben brachte.
Doch kümmerte es sie wenig, daß sie nur Sonntags
ihren Mittagstisch decken konnte; denn ihre Ansprüche
an das äußere Leben waren fast gar keine; eine Folge
der strengen und sparsamen Erziehung, welche der ·
Vater sowohl aus Grundsatz, als auch in Rücksicht
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/138&oldid=- (Version vom 1.8.2018)