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Hände an die Augen drückte. - So stand sie noch, als draußen die Menschen vorübergegangen waren und als sich das Geräusch der Schritte unten zwischen den Häusern verloren hatte. Sie sah es nicht, daß er wieder zu ihr getreten war, und seinen Arm um ihren Nacken legte; aber als sie es fühlte, neigte sie den Kopf noch tiefer. Du schämst dich, sagte sie leise, ich weiß es wohl.

Er antwortete nicht; er hatte sich auf die Bank gesetzt und zog sie schweigend zu sich nieder. Sie ließ es geschehen, sie legte ihre Lippen auf seine schönen vornehmen Hände; sie fürchtete ihn betrübt zu haben.

Er hob sie lächelnd auf seinen Schooß und wunderte sich, daß er keine Last fühle, nur die Formen ihres zarten, elfenhaften Körpers; er sagte ihr neckend, sie sei eine Hexe, sie wiege keine dreißig Loth. - Der Wind kam durch die nackten Zweige; er schlug seinen Mantel um ihre Füße. Sie sah mit glücklichen Augen zu ihm auf. Mich friert nicht, sagte sie und preßte ihre Schläfe fest an seine Brust.

Sie war in seiner Gewalt; sie wollte nichts mehr für sich allein. - Er schonte ihrer; nicht weil es ihn ihrer erbarmte oder weil er es als Sünde empfunden hätte, sie ohne Liebe sein zu nennen; aber es war, als wehre ihm Jemand, sie ganz zu besitzen. Er wußte nicht, daß das der Tod sei.

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)