Gott – wenn du mir kein gutes schenkst,
laß mich denn ein schlechtes tragen!
Laß mich, Lebenden, nicht schlafen,
nicht den Tod mir werden,
laß mich nicht gleich morschem Klotze
faulen hier auf Erden.
Laß mich mit den Menschen leben
liebevoll, beisammen.
Oder ich will fluchend stecken
diese Welt in Flammen.
Gräßlich ist, als Sklav’ die Freiheit
lebenslang zu missen,
noch weit gräßlicher als Freier
nur zu schlafen wissen,
nur zu schlafen und im Grabe
spurlos zu verwesen!
Einerlei – ob man hier lebte,
ob man nicht gewesen!
Schicksal, wo bist du? Schicksal, wo bist du?
Ist umsonst mein Fragen …
Gott, wenn du mir kein gutes schenkst,
laß mich denn ein schlechtes tragen.“
Das Gefühl der Verlassenheit, der Isolierung konnte der Dichter fast nie unterdrücken; immer bleibt er der Verwaiste, der in fremdem Lande herumirrt, und einsame Menschen sind nicht selten in seinen Gedichten, – bald ist es das Mädchen, das vergeblich den Geliebten erwartet, bald ist es der Kosak, der in die Ferne zieht und in der Einsamkeit vergeht. „Wohl gibt es in der Welt Glück, aber wer kennt es? Wohl gibt es in der Welt Freiheit – heißt es in der Erzählung ‚Kateryna‘ – aber wer besitzt sie? Es gibt Menschen, die mit Gold und Silber glänzen und scheinbar glücklich sind. Das wahre Glück wird ihnen aber nie zu teil und auch nicht die Freiheit.“
Zwei Kräfte hielten indeß den unglücklichen Dichter sogar in den verzweifeltsten Stunden aufrecht: sein Idealismus, der Glaube an Gott und seine heiße Vaterlandsliebe. Die Ukraine ist ihm eine zweite Mutter und der verirrte Wanderer sehnt sich immer wieder nach ihr zurück, gleichwie
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/91&oldid=- (Version vom 7.10.2018)