ich nicht aufgehört habe, ungeachtet des unmenschlichen Gebotes. Ja, ich denke zuweilen sogar an die Drucklegung dieser meiner schmächtigen Sprößlinge. Fürwahr, ich muß dieses unwiderstehliche Verhängnis Berufung nennen! …“
Schewtschenko hatte recht: er war zum Dichter berufen, wenngleich er vielleicht auch als Künstler mit dem Pinsel vieles von bleibendem Werte hätte leisten können und tatsächlich leistete. Noch eines möchte ich hervorheben: Es gibt in der Geschichte der Weltliteratur gewiß nicht viele Beispiele, wo ein Dichter von 26 Jahren so reif gleich zu allererst vor die Öffentlichkeit trat, wie es bei Schewtschenko der Fall war.
Seine Lehrjahre in Petersburg waren auch in literarischer Hinsicht ersprießlich gewesen. In der Bibliothek Brüllows hatte er viel Gelegenheit gehabt zu studieren und er machte sich auch mit der russischen und polnischen Romantik vertraut, ohne freilich die Geschichte und die Literatur der Ukraine zu vernachlässigen. Er kannte bereits die „Ukrainischen Melodien“ von N. A. Markewytsch, die dem Erzbischof Georgij Konisskij fälschlich zugeschriebene „Istorija Russow“ und die „dumky“ (Romanzen) von A. Metlynskyj, die Dichtungen von Kotljarewskyj, Hulak-Artemowskyj, Kwitka und die Werke aller andern Bahnbrecher der modernen ukrainischen Literatur.
Sehr beachtenswert ist es immerhin, daß Schewtschenko von Anfang an in seiner Muttersprache schrieb, obgleich er seine literarische Erziehung in einem großrussischen Milieu erhalten hatte. Im Jahre 1839 schrieb er aus Petersburg an seinen Bruder: „Bitte schreib mir, so wie ich Dir schreibe, das heißt nicht in der moskowitischen Sprache, sondern in der unsrigen, damit ich wenigstens auf dem Papier der Muttersprache mich erfreuen kann, um noch einmal Tränen der Freude vergießen zu können, denn hier ist es mir so traurig, daß ich jede Nacht im Traume nur Dich sehe, Kyryliwka, die Verwandten und das Steppengras.“ Und er meint in einem Briefe an Hrycjko Tarnowskyj, dem reichen Gutsbesitzer und Verwandten des Gründers des berühmten ukrainischen Museums in Tschernihiw, in welchem eine besondere
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/81&oldid=- (Version vom 4.7.2018)