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körperlichen Kräfte abnehmen und wie ihn die Isolierung bedrückt. „Die Jugendjahre sind verronnen“ – seufzt er – „und kühle Winde wehn. Ich sitze allein in der kalten Stube und habe niemand, mit dem ich plaudern könnte und mich unterhalten, während die eitle Hoffnung den Toren betört, ihn belacht und mit Frost seine Augen fesselt und die stolzen Gedanken zerstreut wie die Schneeflocken auf der Steppe. Wart' nicht auf den Frühling, die heilige Jahreszeit, denn er wird nie kommen, um diesen Garten grün zu machen und deine Hoffnung zu erneuern! Harre aus und erwarte nichts! …“

Aber noch im letzten Augenblick lodert eine Flamme der dichterischen Inspiration empor. Er ist überzeugt, daß das Recht auf Erden regieren werde, wenngleich die Gegenwart so trübe ist.

„Der Tag vergeht, die Nacht vergeht,
du beugst das Haupt, kannst nicht ergründen,
warum kein Jünger noch ersteht,
um Recht und Wahrheit zu verkünden.“

Und kaum drei Monate vor dem Hinscheiden schrieb dieser Verkünder des Rechtes und der Wahrheit ein volkstümliches Lied, das seinen besten Erzeugnissen beizuzählen ist:

„Fließt das Wasser unterm Ahorn,
fließt zum Tal hinunter,
längs der Schlucht und rot am Wasser
prangt der Hirschholunder,
prangt der traute Hirschholunder,
Ahorn – er treibt Sprossen
und es grünen Lorbeerweiden
rings um Weidenschossen.

Fließt das Wasser aus dem Haine
längs des Berges Fuße;
zwischen Espenlaub die Entlein
plätschern in dem Flusse.
Ente samt dem Entrich folgen
ihnen ohne Säumen,
haschen nach den Wasseralgen,
schnattern mit den Kleinen.