das doch Kinder für sie zu haben pflegen. Und als ich mich dem Zeitpunkte näherte, wo man selbst nachzudenken beginnt, bekam ich einen überwältigenden Widerwillen gegen den christliebenden Militarismus. Mein Abscheu davor wuchs, je mehr ich mit Leuten dieses Standes zusammentraf. Ich weiß nicht, ob es Zufall war, doch nicht einmal in der Garde gelang es mir, einen ehrenhaften Mann in Uniform zu treffen. Wenn hier der Soldat zufälligerweise nüchtern war, war er finster oder prahlerisch … Selbst wenn ich ein blutdürstiger Mörder gewesen wäre, hätte man keine härtre Strafe für mich ersinnen können als die Einreihung als Soldat ins Orenburger Korps. Hier liegt die Ursache meiner unsäglichen Leiden. Ein Tribunal unter dem Vorsitz des leibhaftigen Satans hätte kaum ein so unmenschlich eisiges Urteil aussprechen können, als wie es herzlos an mir vollstreckt wurde. Der heidnische Augustus verbannte jenen Naso (Ovidius) zu den wilden Goten, doch ohne ihm das Schreiben oder Malen zu verbieten; der christliche Nikolai untersagte mir beides. Beide waren Henker nur mit dem Unterschiede, daß der eine, Nikolai, Christ war und noch dazu einer des XIX. Jahrhunderts, in dessen Licht das größte Reich der Welt erwuchs, das auf dem Christentum aufbaute … An dem ewig denkwürdigen Tage, an dem mein Urteil gefällt wurde, gelobte ich mir, niemals Soldat zu werden.“
Am 20. Juni schrieb er ins Tagebuch: „Es scheint mir, als ob ich noch jetzt ganz der gleiche wie vor 10 Jahren wäre und nicht ein einziger Tag in meinem Innern Bilde sich verändert hätte. Ist es gut so? Gewiß! Und ich danke Gott aus der Tiefe meiner Seele dafür, daß alle schreckliche Erfahrung nicht vermochte, an meine Überzeugung, an meinen jugendlichen Glauben mit ihren eisernen Krallen zu rühren. Viel in mir hat sich geklärt und natürliche Gestalt und Form bekommen, doch ist das nicht die Folge der bittern Erfahrung, sondern die Wirkung des unaufhaltsamen Fluges des alten Saturnus.“
In gewisser Beziehung hatte Schewtschenko mit dieser seiner Selbstprüfung recht. Sein freier, stolzer Geist war
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/60&oldid=- (Version vom 30.7.2020)