selbst keine Unannehmlichkeiten zuziehen wolle. Was für ein Kinderspiel war es doch gewesen im Vergleich zum nunmehrigen Verbot, als er vom Kutscher Engelhardts wegen des Zeichnens gepeitscht wurde!
Ein Brief an Bodjanskyj gibt uns denn auch Einblick in Schewtschenkos Seelenzustand: „Es wäre besser zu schweigen, falls man nichts Gutes sagen kann, aber o weh! der Mensch muß sein Leid beichten, wenngleich es groß ist …“ Nicht umsonst sagte Mersljakow:[1] „Alle Freunde und Kameraden, … nur bis zur Stunde des Unglücks.“ Und der selige Dante sagt, daß es in unserm Leben keinen bittrern Schmerz gebe, als im Unglück vergangenen Glückes zu gedenken. Wie wahr der Florentiner sprach, erfahre ich jetzt jeden Tag an mir selbst. Allerdings gab es in meinem verflossenen Leben nicht so viel Freuden, aber es ähnelte doch ein wenig der Freiheit und schon der Schatten von Freiheit erhebt den Menschen. Früher konnte ich wenigstens der Freude andrer zusehen, jetzt aber bemerke ich nicht mal das Glück andrer. Ringsum nur Elend und Wüste – Kasernen, darin Soldaten. Und welche Freude in den Gesichtern der Soldaten! … Seit meiner Verbannung habe ich keinen einzigen Buchstaben von unserer armen Ukraine gelesen und was ich früher von ihrer Geschichte wußte – sogar das wenige verlerne ich jetzt schnell.“[2]
Nach dem Thronwechsel wurde von Alexander II. eine Amnestie für politische Verbrecher erlassen, aber Schewtschenkos Name war darin nicht erwähnt. Erst durch die Bemühungen des Grafen Fedor Petrowitsch Tolstoj[3] wurde er am 2. Mai 1857 begnadigt und freigelassen. Den Rückweg nahm er über das Meer nach Astrachan und auf der Wolga stromauf bis Nizhnij Nowgorod, wo er erst ein halbes Jahr bleiben mußte, weil er noch nicht die Erlaubnis
- ↑ Ein dichterisch begabter Gelehrter der alexandrinischen Periode (gestorben 1830).
- ↑ Während der Verbannungszeit las er hauptsächlich die Bibel und „Russkij Invalid“ (eine offiziöse, 1813 gegründete Militärzeitung).
- ↑ Professor und Vizepräsident der Kunstakademie (gestorben 1873), einer der größten Gönner Schewtschenkos in Petersburg.
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/58&oldid=- (Version vom 29.12.2019)