Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/53

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Schwer, o Freund, ists, einsam einen Festtag zu begrüßen
in der Wildnis! Morgen früh, da wirds von allen Türmen
schallen in der Ukraine, morgen früh da scharen
zum Gebet sich all’ die guten Leute, … morgen früh
wird der Wolf, der hungergiere, heulen durch die Wüste.
Wehn wird und überwirbeln mir der kalte Sturmwind
Haus und Herd. So muß erleben ich das Fest, das frohe.“[1]

Er behandelt wieder mit jugendlicher Frische nationalepische Stoffe aus der alten Kosakenzeit, wobei des öftern das soziale Mitfühlen kraftvoll hervortritt. Als er einst an Bord des Schiffes stand und zusah, wie die „rosenwangige Diana ihr Antlitz aus dem Nebel des Meeres hob“, hörte er plötzlich, wie ein ukrainischer Matrose ganz leise ein Lied von dem Kosaken sang, der in die Fremde als zarischer Soldat ziehen mußte. Als Knabe hatte er schon dem gleichen Lied gelauscht, das von den Lippen eines Mädchens ertönte unter dem Weidenbaum und ebenso wie er, das Waisenkind, einst weinte, vergießt er, der Verbannte, jetzt heiße Tränen.

„Ists weil die Welt sich dir verschlossen hält,
weil selber du mit Zwang Soldatendienste tust
und weil dein Herz mißhandelt und zerfleischt
all seines köstlichen Gehalts beraubt, verschmachtet,
weil es auf deinen Lebenswegen ringsum nachtet? …“[2]

Ja, es kamen unter diesen Gedichten sogar einige vor, die dem echten Volksliede abgelauscht waren und die in ihrem schalkhaften Reize die noch nicht erloschene Lebenslust des Dichters bezeugten. Hieher gehört z. B. das neckische Lied von dem Mädchen, das mit mehreren Burschen zugleich liebäugelt, mit dem Müller, mit dem Sattler und auch mit dem Böttcher … aus reinstem Übermut.[3]


  1. Übersetzt von J. G. Obrist; auch von O. Hrycaj.
  2. Übersetzt von A. Popowicz.
  3. Um dem ausländischen Leser eine Vorstellung von der lächelnden Anmut dieses schwer zu übersetzenden Liedes zu geben, kann ich nicht umhin, die erste Strophe in der Originalsprache anzuführen:

    „U peretyku chodyla
    po horichy
    miroschnyka poljubyla [28]