Zaren oder Herrscher wissen. Allerdings hat sie ein Zar beherrscht, aber er war ein Fremder; dort gab es auch Edelleute, aber auch sie waren Fremdlinge und obgleich sie eine Abart ukrainischen Blutes waren, verunreinigten sie doch nicht mit ihren schlechten Lippen die ukrainische Sprache und nannten sich selbst nicht Ukrainer. Aber ein echter Ukrainer, sei er von adeliger oder nicht adeliger Geburt, kann nicht einen fremden Herrn lieben, sondern er liebt und ehrt nur Gott, Jesum Christum, den König und Herrscher des Himmels und der Erde. So war es vorher und es wird so immerdar bleiben.“
„Wenngleich das Slawentum Unfreiheit erlitten hat und ertragen, hat es doch diese nicht selbst geschaffen, denn Zar und Adel sind nicht Erfindung des slawischen Geistes, sondern die des deutschen und tatarischen. Der echte Slawe liebt keinen Herrscher, lediglich Gott, Jesum Christum.“
„Die Ukraine liegt im Grabe, aber sie ist nicht gestorben. Ihre Stimme, die das gesamte Slawentum zur Freiheit rief und Bruderschaft, hat in der ganzen Welt Widerhall gefunden. Diese Stimme der Ukraine erklang auch, als die Polen am 3. Mai (1791) bestätigten, daß es keine Herren unter ihnen geben dürfe und daß in der Republik (Rzeczpospolita) alle gleich sein würden. Das gleiche hatte die Ukraine schon vor 120 Jahren gewollt. Es wurde indessen auch den Polen nicht gestattet … Polen wurde, wie früher die Ukraine zerrissen. Das war für Polen auch eine gerechte Notwendigkeit, weil es doch damals der Ukraine nicht gehorchte und so seine Schwester ins Verderben stürzte. Polen wird aber nicht untergehn; es wird von der Ukraine wieder erweckt werden, die sich des Bösen nicht erinnern will und ihre Schwester liebt, als ob nie etwas sie beide getrennt hätte.“
„Die Ukraine wird sich einst aus ihrem Grabe erheben und wieder an die slawischen Brüder appellieren. Und dann wird kein Fürst und kein Herzog, keine Exzellenz, kein gnädiger Herr, bojarin oder Bauer (krestjanin oder chlop) mehr sein – sei es in Großrußland oder in Polen, in der Ukraine, in Böhmen, Kärnten, Serbien oder in Bulgarien.
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/44&oldid=- (Version vom 16.9.2022)