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In einem Gedichte, welches er A. O. Kosatschkowskyj[1] gewidmet und in der Festung Orsk 1847 geschrieben hat, betrachtet er halb scherzend die Verbannung als eine Strafe des Himmels, weil er als Schulknabe einen „pjatak“ (ein 5 Kopeken-Stück) beim Küster gestohlen hatte, um Papier zu kaufen und den „Skoworoda“ abzuschreiben, und als er zwei Jahre später am Aralsee weilte, sagte er in einem Gedichte: „Wenn ich einen Dorfjungen ganz allein am Zaun sitzen sehe, in grobem Hanfhemd, wie ein vom Zweige abgerissenes Laub, scheint es mir, als ob ich es selbst wäre, als ob ich meine eigene Jugend erblickte.“

Er hatte aber doch nicht ausschließlich traurige Erinnerungen an seine Kinderjahre: er lernte in ihnen die Natur lieben; er wurde gar frühzeitig mit der ukrainischen Volkssprache vertraut und das fleißige Lesen des Psalters und der geistlichen Lieder Skoworodas förderte sein religiöses Empfinden und erweckte das dichterische Gefühl in ihm. Vor allem lernte er aber die Leiden des ukrainischen Volkes durch eigene bittere Erfahrungen kennen und er sog schon mit der Muttermilch den unversöhnlichen Haß gegen die Leibeigenschaft ein, der für seine dichterische Entwicklung ausschlaggebend ward. Je älter der Dichter wurde, desto mehr versank er in Nachdenken über die entschwundene Kindheit, die in zauberischem Glanz vor seinem inneren Blick wieder erstand. Am Aralsee gedenkt er (1848) seiner Mutter, wie sie zur heiligen Jungfrau um ein gutes Lebenslos für ihren Sohn betete …

Seine geliebte Schwester Kateryna stand in einem Schimmer der Verklärung vor ihm da und wir glauben auch in einer der schönsten Strophen aus der letzten Periode seines Schaffens ihr Bild zu erkennen. In dem Gedichte „Dolja“ (Lebensstern) vom Jahre 1858 heißt es: „Zu mir warst du niemals falsch, warst Bruder, Freund und Schwester

dem Schwergeprüften. Du nahmest bei der Hand mich


  1. Andrej Kosatschkowskyj, Arzt in Perejaslaw, war einer von Schewtschenkos besten Freunden[.]