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konnte, daß „eine kleinrussische Sprache nie existiert hat, nicht existiert und überhaupt nicht existieren darf“. Diese Geringschätzung der Ukrainer seitens der Großrussen tritt in der Novelle „Rudin“ scharf hervor, in welcher Iwan Turgenjeff, der für die Ukraine eine gewisse Sympathie hatte und selbst Erzählungen von Marko Wowtschok ins Russische übertrug, den närrischen Witzkopf Pigasow das „Zopfland“[1]) (Chochlandija) bekritteln läßt, mit der Behauptung, „die ukrainische Sprache sei nur ein Mischmasch“ …

Das literarische Erwachen des ukrainischen Volkes ging vom linken Dnipróufer aus. Die Kunstdichtung war aber in der Tat nur die vertiefte und verfeinerte Volkspoesie; sie blieb naiv und hatte einen gar engen sozialen Horizont. Sie war jedoch durch und durch demokratisch und realistisch, obgleich die ersten Verfasser größtenteils adeliger Herkunft waren, aber nicht immer höhere Bildung genossen hatten.

Vom rechten Dnipróufer aber kam die große Offenbarung, der eigentliche Wiederbeleber der ukrainischen Literatur. In dem Lande, in dem die nationalen und gesellschaftlichen Gegensätze besonders scharf gekennzeichnet waren, ging aus der niedrigsten Schichte einer sittlich und wirtschaftlich geknechteten Bevölkerung unmittelbar ein Dichter hervor, dessen ganzes Leben ein flammender Protest war gegen jederlei Despotismus und Leibeigenschaft … Taras Schewtschenko. Er hat eine Sonderstellung in der Weltliteratur, schuf er sich doch allein eine Literatur und verkörperte in seinem Gesang ein ganzes Volk. „Er war“ – wie sein Landsmann Iwan Franko so schön und zutreffend sagt – „ein Bauernsohn und ist ein Fürst im Reiche der Geister geworden. Er war ein Leibeigener und ist eine Großmacht im Reiche der menschlichen Kultur geworden.“


  1. Die Russen geben dem Ukrainer den Spottnamen „Chochol“ wegen des Haarbüschels, das die saporogischen Kosaken trugen. Die Ukrainer wiederum nennen den Moskowiter „Katzap“ (wahrscheinlich vom türk.-arab. katsab, Schlächter).