Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/163

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Mit noch größerm Recht kann von Schewtschenko behauptet werden, daß er einen Hannibalschwur nicht nur ablegte, sondern daß er ihm auch bis zum letzten Atemzug treu blieb. Sein ganzes Leben war ein ununterbrochener Kampf gegen jenes soziale Krebsgeschwür und gerade weil er selbst aus den Krallen der Leibeigenschaft losgelassen wurde, fühlte er um so tiefer die Erniedrigung des Volkes, das unter diesem Joche sich noch sklavisch plagen mußte. Und für Schewtschenko war die wirtschaftlich-soziale Leibeigenschaft nicht das Schlimmste: gerade aus sittlichen Gründen mußte er diesen Feind auf Leben und Tod bekämpfen.

„Die kurze Geschichte meines Lebens, die ich in dem vorliegenden schmucklosen Bericht Ihnen zu Gefallen skizziert habe, – schreibt er am Ende seiner kurzen Selbstbiographie im „Narodnoje Tschtjenije“ 1860 – kam, wie ich gestehn muß, mir teurer zu stehn als ich erwartet hätte. Welch dunkle Reihe verlorner Jahre! Und was hab ich letzten Endes durch meine Bemühungen dem Schicksal abgerungen? Das nackte Leben … Die Einsicht in meine Vergangenheit. Sie ist schrecklich, um so schrecklicher für mich, weil meine leiblichen Brüder und Schwestern, die in meiner Biographie zu erwähnen ich nicht übers Herz bringen konnte, bis zum heutigen Tage Leibeigene sind.[1] Ja, mein Herr, Leibeigene bis zum heutigen Tage!“

Als Beweis seiner Entrüstung über die Leibeigenschaft mag eine Episode aus seinem Aufenthalte in der Ukraine um 1840 hier erwähnt werden. Schewtschenko war zu einem Gutsbesitzer eingeladen; als dieser seinen Diener schlug, wurde der Gast so aufgeregt, daß er seinen Hut ergriff und sich entfernte – ohne Abschied zu nehmen. – Am 19. Februar 1861 besuchte ein Bekannter den kranken Dichter. Schewtschenko, indem er sich an den Fensterpfosten lehnte, fragte unruhig: „Wie gehts? Gibt es Freiheit? Ist das kaiserliche Manifest veröffentlicht?“ In dem stummen Blick des Freundes las Schewtschenko die verneinende Antwort; er verbarg das Gesicht in die Hände, fiel auf das Sofa und


  1. Die Geschwister wurden doch unmittelbar vor seinem Tode freigelassen.