Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/160

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erwärmend mit geheimer Glut
manch kaltes Herz. Und es gewann
die Welt gar lieb den hehren Mann
und betete ihn weinend an.
Und bald – o Menschenarg! – bald war
verbrannt von Menschen sein Altar.
Und in dem fremden Götzenreich
verschlangen sie das Opferbrot
und der Prophet – o wehe euch! –
fiel unter ihren Steinen tot.
Und wahrlich ging nun Gott nicht irre,
als er, als wie für wilde Tiere,
für sie die Ketten schmieden ließ
und sie in tiefste Kerker stieß.
Und – o Geschlecht voll Falsch und Tücke! –
Daß kein Prophet dich mehr beglücke,
dich einen Zaren wählen hieß![1]

Wie wir bereits wissen, waren die panslawistischen Tendenzen der revolutionären St. Cyrill- und Methodus-Gesellschaft religiöser Art. Eben deshalb konnte Schewtschenko nicht umhin, mit diesem Vereine zu sympathisieren, sowohl aus rein humanitären Gründen, wie aus speziell slawischen. Denn Schewtschenko fühlte sich immer als Slawe im Geiste Kollárs und er hegte deshalb keinen Haß gegen die Russen und die Polen als solche. Er hatte ja unter den Russen einige seiner besten Freunde und Gönner und er wußte zu gut, wie schwer das russische Bauernvolk unter dem Nikolaischen Joche schmachtete.

Schon in den bluttriefenden „Hajdamaken“ trauert der Dichter darüber, daß „das Blut von den Kindern der alten Slawen vergossen worden ist“. Die slawischen Sympathien ließen aber Schewtschenko nie die nationalpolitische und soziale Lage des eigenen, gerade von slawischen Stammesbrüdern unterdrückten Volkes vergessen. Er weiß auch seine Landsleute wegen ihres Slawophilismus zu rügen. In dem ergreifenden „Sendschreiben an die Toten und die Lebendigen in der Ukraine“ geißelt er die Ukrainer wegen ihrer Fremdlingsmanie: sie brüsten sich


  1. Übersetzt von Ostap Hrycaj.