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Hauptstadt gemacht und in dunkeln Ausdrücken dargetan, wie weit seine dichterische Individualität sich von Puschkin und den russischen Byronisten trennte. Es heißt nämlich wörtlich: „Er setzte nicht seine alltäglichen Ereignisse in der Form erbaulicher Romane auseinander; er enthüllte nicht die Wunden des Gemüts oder die Finsternis verschiedener Träume, er huldigte nicht dem byronistischen Nebel, verleumdete nicht die nichtige Masse seiner Freunde und er war nicht wie jener kosmopolitische Philosoph, der unabänderlich über die Ideen von Kant und Galilei grübelte …“ Diese Anspielungen beziehn sich gewiß auf Lermontoff und auf Puschkin, den Verfasser des Gedichtes „Tschernj“ (Pöbel). Auf wen mit dem „kosmopolitischen Philosophen“ hingezielt wird, ist schwer zu erraten. Sollte Bjelinskij hierunter verstanden sein?

Die Grundverschiedenheit der Charaktere von Puschkin, Lermontoff und Schewtschenko könnte durch ein literarisches Beispiel klargelegt werden. Alle drei haben ein Gedicht, betitelt der „Prophet“, geschrieben und alle drei haben verschiedene Auffassungen von dem Wesen und der Aufgabe des Dichters. Puschkin sieht in dem Propheten vor allem den gottbegnadeten Dichter und Weissager, der dazu berufen ist, den göttlichen Willen zu erfüllen und durch das göttliche Wort die Herzen der Menschen zu entflammen. Lermontoff hebt (1841) in seinem Gedichte vorzugsweise das verkannte Dichterlos des Propheten hervor, wie er zerlumpt und obdachlos von den Menschen verhöhnt wird, wenn er seine Wüste verläßt. Schewtschenko aber betont in dem am Aralsee 1848 verfaßten „Prophet“ (Prorok) den prophetischen Beruf des Dichters als das Streben, Liebe zu erwecken und Licht zu verbreiten.

Von Vaterliebe tief beseelt
beglückte einmal Gott die Welt
mit einem himmlischen Propheten,
daß sie von Gottes Liebe hört
und weisen Lehrers nicht entbehrt.
Und wie Dniprós erbrauste Wellen,
so strömte seiner Worte Flut
gar tief in alle Menschenseelen,