Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/148

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Interessant ist die Tatsache, daß die drei größten Dichter der polnischen, russischen und ukrainischen Literatur von dem herrlichen Standbild inspiriert worden sind, das Katharina II. den französischen Künstler Falconet aufführen ließ, um Peter den Großen zu verherrlichen. Puschkin erblickte in dem „kupfernen Reiter“ ein Symbol des siegreichen, unbezwinglichen Zarentums und er flößte dem erzharten Rosse Leben ein, um mit den Hufen die Feinde Rußlands niederzutreten. Der Pole und der Ukrainer aber betrachteten, jeder von seinem nationalen Standpunkt, den mächtigen Zaren als den verkörperten Nationalfeind, und Mickiewicz, der das Monument am Newakai der Reiterstatue des friedsamen Kaisers Mark Aurel in Rom gegenüberstellte, schrieb:

„Der erste Zar tat Wunder, hochgepriesen,
die zweite Zarin ließ sein Standbild gießen.“

Schewtschenko hatte um so mehr Veranlassung, auf die Urheberin des Monumentes ausdrücklich hinzuweisen, weil Katharina das ukrainische Vernichtungswerk Peters vollendete. Doch Schewtschenkos Darstellung kann sich mit der von Mickiewicz künstlerisch keineswegs messen. Jedenfalls bestätigen die Tatsachen, in was für einem hohen Grade die Persönlichkeit des russischen „Baumeisters“ die osteuropäische Phantasie beschäftigen mußte. Schewtschenko konnte nicht umhin, während seines Aufenthaltes in Petersburg den „kupfernen Reiter“ anzustaunen und Mich. Mikeschin schrieb von ihm 1876: „Die gigantische Statue Peter des Großen schien gleich einer Vision auf ihm zu lasten, so daß er, in Pathos verfallend und der tönernen Statue des Kaisers zugewandt, oft mit poetischen Deklamationen schloß.“

Wenn ich dem „Traum“ höheren künstlerischen Wert absprechen muß, finde ich dafür eine tiefe Originalität in dem mystisch angehauchten politischen Gedichte „Die große Gruft“ (Welykyj Ljoch), 1845, besonders da es mit volkstümlichen Vorstellungen verknüpft ist. Das seltsame Werk, das Schewtschenko als Mysterium bezeichnete, hat in seinem prophetischen Ton und in der gespensterhaften Stimmung gewisse