Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/115

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

werden ein Ahorn gepflanzt und ein Schneeball.[1] Des Nachts singt auf den Grabstätten eine Nachtigall und ein Kuckuck ruft, während die Rusalonjky aus dem Dnipró heraufschwimmen, um sich zu wärmen.

Verwandt mit dieser Erzählung ist die volkstümliche Ballade „Die Pappel“ (Topolja)[2] (1840). Ein Mädchen liebt einen Kosaken, der es im Stiche läßt. Es welkt dahin wie eine Blume. Die Mutter will es an einen reichen alten Mann verheiraten, aber die Tochter will lieber im Sarge ruhn, als seine Ehefrau werden. Aus Verzweiflung sucht sie so eine Zauberin auf, um das Schicksal des Geliebten zu erfahren und sie bekommt von der Hexe folgenden Rat: Vor Hahnenruf solle sie zur Quelle gehn, sich in deren Wasser waschen und einen Trunk von einem heilenden Zaubertrank nehmen; dann solle sie, ohne sich umzudrehn, zu dem Platze eilen, wo sie sich von dem Geliebten verabschiedete. Sobald der Mond ganz hoch am Himmel steht, solle sie noch einen Trunk nehmen und wenn der Geliebte doch nicht kommt, also zum drittenmal trinken. Sie dürfe jedoch kein Kreuz schlagen.

Das Mädchen tat, wie ihm geheißen wurde. Es nahm die Kräuter, trank an der Quelle und fühlte sich wie neugeboren. Nach dem dritten Trank sang es ganz unbewußt:

„Schwimm, ach schwimme, du mein Schwänlein,
     auf dem Meer, dem blauen!
Wachs, ach wachse, Pappelbäumchen,
     hoch in Himmelsauen!
Wachse schlank und hoch nach aufwärts,
     wo die Wolken schweben,
frage Gott selbst, werd ich jemals
     Eheglück erleben? …“


  1. Der Schneeball (Viburnum opulus) ist im Ukrainischen das Symbol der Jungfräulichkeit (wie der Ahorn das der Männlichkeit); der deutsche Name läßt sich aber poetisch kaum gut verwerten, deshalb behalten wir oft den ukrainischen Wortlaut „kalyna“. Viele Übersetzer Schewtschenkos ins Deutsche geben diesen Begriff durch „Wacholder“, „Holler“, „Holunder“, „Hirschholunder“ wieder – alles unrichtig.
  2. Das gleiche Motiv ist auch von andern ukrainischen Dichtern (Tschubynskyj, Holowatskyj, Kostomarow) behandelt worden.