Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/104

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es ein und bringts zur Ruh. Der Greis
indeß noch sinnt in stillen Freuden
und murmelt leis: „Wo seid ihr, Leiden,
wo bleibt ihr, Sorgen, Feindlichkeiten?“
Das Vaterunser brummt der Alte,
bekreuzend sich. Der Sonne Licht
lacht durch der Weiden grüne Spalte,
bis es erbleicht. Der Tag entweicht
und alles ruht. Und auch der Greis
zur Ruh sich nun ins Häuschen schleicht.“[1]

Diese Naturschwärmerei gibt dem Dichter Kraft und Lebensmut und sie macht ihm selbst die Einsamkeit lieb. In seinem Tagebuch vom 17. Juni 1857 schrieb er einige diesbezügliche Notizen, die in den „Aufzeichnungen eines Jägers“ von Iwan Turgenjeff ihren Platz hätten finden können: „Ein stiller schöner Morgen. Nur Pirole (Golddrosseln) und Schwalben stören zu verschiedenen Malen die frühe, süße Ruhe. Seitdem es mir gestattet wurde, allein zu sein, hab ich an der Einsamkeit außerordentlich Gefallen gefunden. Nichts kann anmutiger, mehr verführerisch im Leben sein als die Einsamkeit, besonders angesichts des schönen Antlitzes der lächelnden, blühenden Mutter – Natur. Durch ihren bezaubernden Einfluß versinkt der Mensch unfreiwillig in sich selbst und ‚sieht Gott auf Erden‘, wie der Dichter sagt. Auch früher habe ich lärmende Tätigkeit oder, richtiger gesagt, lärmende Untätigkeit nicht geliebt. Doch nach dem zehnjährigen Aufenthalt hier dünkt mich die Einsamkeit ein wahrhaftiges Paradies. Ich sitze oder liege still gar viele Stunden unter meinem lieben Weidenbaum.“

Diese feierliche Ruhe der Morgendämmerung hat Schewtschenko mehrmals in Worten ausgemalt. Schon in der Erstlingsballade „Die Besessene“ (Prytschynna) schildert er das Erwachen des Tages:

„Die Lerche trillert,
sich zum Himmel schwingend;
der Kuckuck ruft,
auf der Eiche sitzend.


  1. Übersetzt von Julia Virginia.