haben eine angeborne Abneigung gegen das Grün, gegen diesen lebendig-funkelnden Lichtblick der lächelnden Mutter Natur. Das großrussische Dorf ist, wie Gogol sich ausdrückt, ein unordentlicher Haufen grauer Balken mit schwarzen Öffnungen statt der Fenster, mit ewigem Schmutz und ewigem Winter; du erblickst dort kaum ein grünes Reis. Hinter dem Dorfe grünen undurchdringliche Wälder und das Dorf selbst scheint gleichsam mit Absicht aus dem Schatten dieses unbetretnen Gartens bis auf die große Straße herangekrochen zu sein, um sich in zwei Reihen an ihr zu lagern … Wie ganz anders sieht es in der Ukraine aus: dort hat jedes Dorf, ja selbst jede Stadt weiße freundliche Häuser, die im Schatten der Kirsch- und Weichselgärten liegen. Dort hat der arme Bauer seine Wohnstätte durch eine üppige, ewig lächende Natur verschönert und er singt sein wehmütiges, trautes Lied in der Hoffnung auf ein bessres Leben. O mein armes, mein wunderschönes und geliebtes Land! Werd’ ich wohl bald deine lebenspendende, süße Luft einatmen? Barmherziger Gott – das ist meine unauslöschliche Zuversicht …“
Für Schewtschenko lagen Dorf und Hütte immer in einem zauberischen Glanz, durch die Entfernung noch idealisiert. Das weiße Häuschen schimmert vor seinen Augen wie „ein Kind in weißem Hemdchen“, wie „eine Maid auf dem Hügel“. In russischer Sprache schrieb Schewtschenko (in Prosa) mehrere Erzählungen, in welchen die ukrainischen Dörfer gepriesen werden, wie z. B. die in der Nowopetrowschen Festung (1853) verfaßte Novelle „Die Prinzessin“[1] (Knjazhna), deren Anfang lautet:
„Dorf! O was für ein lieber, bezaubernder Anblick wird in meinem alten Herzen bei diesem lieblichen Wort erweckt! Dorf … vor mir steht unser altes, armes weißes Häuschen mit verfinstertem Strohdach und schwarzem Schornstein; neben dem Häuschen ein Apfelbaum mit rotwangigen Äpfeln und ein Blumenbeet, der Liebling meiner unvergeßlichen Schwester, meiner geduldigen, zarten Pflegerin.
- ↑ Derselbe Stoff wurde schon 1847 in Orsk in gebundener Rede behandelt.
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/101&oldid=- (Version vom 7.10.2018)