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Behrisch, „der Freund der Scherze“ und der zeitverderbenden Späße, ist sein Freund. Er hat damals, wie er selbst erzählt, die Gelegenheit versäumt, Lessing ins Auge zu sehen. Der Große, der dazu berufen war, die deutsche Poesie vom welschen Regelzwange durch dichterische That zur Wahrheit und Natur zurückzuführen, ist in den Zeiten seiner Anfänge selbst ein gefügiger Verehrer der glatten, platten Regel gewesen und hat sich einer verkünstelten Mode unterworfen.

Alles in Allem: wie alt ist er doch, dieser jüngste Goethe, und wie viel gehörte dazu, daß er sich verjüngte!

In einem seiner frühen Briefe an Frau von Stein spricht Goethe von der Zeit seines ersten Eintrittes in Leipzig. Als ein „kleiner, eingewickelter, seltsamer Knabe“ sei er dahin gegangen. Er fügt hinzu: „Wie viel hat nicht die Zeit durch den Kopf und das Herz müssen, und wie viel wohler, freier, besser ist mir’s jetzt!“ Es gibt kaum eine wunderbarere seelische Metamorphose als die, auf welche mit diesen Worten gedeutet ist.

Von dem poetischen Werthe des Breviers, das Behrisch hergestellt hatte, hat übrigens Goethe auch in jener unreifen Zeit keine übertriebene Vorstellung gehegt. So sehr er es „ausgeputzt und verbessert“ habe, wolle er es doch, über einen engsten Kreis von Vertrauten hinaus, „Niemand communicirt haben“, äußert er sich gegen Cornelie (Briefe 1, 114). „Zwölf Leser und zwo Leserinnen hat es gehabt, und nun ist mein Publicum aus.“ Und schon in dem mehrfach citirten August-Briefe an die Schwester läßt er durchblicken: lesenswerth würden die Stücke nur dem erscheinen, der ein rein persönliches Interesse an ihm habe. Quand on aime le poète, comme tu m’aimes toi; car je ne suit pas orgueilleux à tel point de les croire intéressais à tous. So wird vollends jetzt diesen Erstlingen nur der etwas abgewinnen, der ein nachhaltiges Interesse für den Dichter mitbringt. In der geschichtlich geordneten Reihe der Urkunden zu Goethe’s Entwicklung, die mit den frühesten uns erhaltenen poetischen Versuchen (Glückwünschen an die Großeltern) und mit Schülerarbeiten beginnt, werden sie ihre richtige Stelle unter Goethe’s „Werken“ finden[1].


  1. Der 37. Band der Weimarer Ausgabe, der diese Stücke enthalten soll, wird in diesem Jahre gedruckt.
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Ludwig Suphan: Das Buch Annette, Deutsche Rundschau, Berlin: Paetel, 1985, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Suphan_Das_Buch_Annette_007.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)