in welchem die jüdische Presse ihre Thätigkeit begann und ein Jude, Tipsiles in Augsburg, das Pulver erfunden haben soll, mit dem endlich begonnen werden konnte, in die noch immer hochragende Feste des Mittelalters Bresche zu schießen.“ Kennt einer von Ihnen den Tipsiles, der dass Pulver erfunden hat? Glaubt wirklich Jemand, daß nicht die Renaissance, die Entdeckung von Amerika und die Reformation, sondern die jüdische Presse die neue Zeit begonnen hat? O, man begreift bei einer solchen Betrachtung der Vergangenheit die ähnlichen Anschauungen für die Zukunft, die darin gipfeln, daß den Juden die Welt gehört. Crèmieux sagte auf einer Versammlung der israelitischen Verbindung in Paris: „Ein neues messianisches Reich, ein neues Jerusalem muß ertstehen anstatt der Kaiser und Päpste.“ Und ein Dr. Rosenzweig machte kürzlich im Ernst den Vorschlag, man solle die Beschneidung überall zum Gesetz machen.
Alles Dies hat wohl zusammengewirkt, um die Juden, besonders die jüdischen Zeitungsschreiber, auf einen Grad von Intoleranz zu heben, der nachgerade unerträglich wird. In vollem Ernste lautet unsere zweite Bitte an die jüdische Presse: ein klein wenig toleranter! Wir wollen nicht wie viele Andere, die über dies Thema geschrieben haben, den Talmud mit seiner Verachtung fremder Völker, mit seinem Haß gegen jedes Menschenrecht citiren. Wir glauben, daß man die heutige Judenschaft in ihrer Gesammtheit nicht für Bücher verantwortlich machen kann, die vor Jahrtausenden geschrieben sind. Wir müßten ebenso den Katholiken alle Ketzerverfolgungen und Inquisitionsprozesse anrechnen, die doch auch von keinem Papste jemals als ein Unrecht widerrufen sind. Auch ist darin in der That eine Aenderung eingetreten. Obwohl die strengen Juden noch heute den Talmud als ebenso unfehlbar wie das Gesetz annehmen, obwohl einige unbesonnener Weise erklären, daß ihnen der ganze Talmud, also auch die vielen rachsüchtigen und wilden Stellen desselben, heilig sei, so ist doch offenbar durch das langjährige Zusammenwohnen mit den Christen, durch die mancherlei geschäftlichen
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland (Erste Rede). Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)