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Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219

unterläßt, da sinken die Pflanzen im Herbst auf den Seegrund, verfaulen und bilden alljährlich eine Schicht von einem Zentimeter Stärke. Jedes Jahr fügt eine neue Schicht hinzu. Der See wird langsam ausgefüllt.

Doch nicht nur von unten auf arbeitet das Verderben, sondern auch vom Rande des Gewässers aus. Die Uferpflanzen dringen stetig weiter in den See vor und vereinigen sich mit den größeren Wasserpflanzen bald zu einer schwimmenden Decke, auf der sich schnell Gräser ansiedeln und ihr stärkere Dichtigkeit verleihen. Diese Decke nennt der Fachmann schwimmendes Fenn. Während die Ränder des Fenns immer mehr in den See hineindrängen und die blanke Wasserfläche verkleinern, dringt vom Ufer her die Vegetation des Festlandes unaufhaltsam vor. Moorpflanzen schlagen Wurzeln, das Fenn wird immer tragfähiger, und mit seiner zunehmenden Dicke verdrängt es immer mehr Wasser. Bald liegt es auf dem Seeboden auf. Die Umwandlung in eine Moorwiese ist vollendet. Nun folgen den Moorpflanzen die ersten Sträucher und Bäume, die Salweide in Buschform, Birken und Erlen. Die verwesenden Pflanzen, das fallende Laub erhöhen den Boden schnell. Je dicker diese oberste Decke wird, desto vollständiger sperren sie die Luft von den tieferen, noch feuchten Schichten ab, in denen dann bereits die Vertorfung der Pflanzenrückstände beginnt. So entsteht das Hochmoor.

Der See ist verschwunden. Er ist an seinem Pflanzenwuchs zugrunde gegangen.

So stirbt das Wasser in unseren Teichen und Binnenseen. Nicht etwa von gestern auf heute, sondern in Jahrhunderten. Man denke nur daran, wie der römische Geschichtschreiber Tacitus das Landschaftsbild des „rauhen Germanien“ geschildert hat: Wälder und unzählige Seen und Sümpfe. Wo sind diese Sümpfe und Seen geblieben? Ihr Schicksal hat sich erfüllt. Sie sind, da keine schützende Hand sich ihrer annahm, dem oben geschilderten Umwandlungsprozeß zum Opfer gefallen. Daß der Rest unserer kleinen Binnenseen und Teiche nicht einem gleichen Schicksal anheimfalle, darauf lenken die Regierungen der deutschen Bundesstaaten jetzt in der richtigen

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Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sterbende_Gew%C3%A4sser.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)