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Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219

kann der Wanderer es trinken und in seinen Fluten ein erquickendes Bad nehmen.

Gehen wir weiter den immer breiter werdenden Bach entlang, so treffen wir bald als erstes industrielles Unternehmen, das die natürlichen Wasserkräfte ausnützt, eine Wassermühle. Der Mühlenteich gibt dem eilig zu Tal strebenden Bächlein einen Ruhepunkt, so daß sich die mikroskopische Tier- und Pflanzenwelt, die in der Hauptsache als Fischnahrung zu betrachten ist, ungestört entwickeln kann. In dem Mühlenteich gedeihen die Fische, das Vieh trinkt das Wasser, das Federvieh des Müllers fühlt sich wohl darin, die Dorfjugend hat eine prächtige Badegelegenheit – kurz, das Wasser lebt und ist gesund.

Weiter geht’s bergab. An den Ufern mehren sich die menschlichen Siedlungen. Der Bauer braucht hier noch keinen Brunnen. Der Bach gewährt ihm klares Wasser zur Nahrung und Stillung des Durstes für sich, sein Vieh und seine Gartenpflanzen. Das Wild zieht zur Tränke, Wildvögel tummeln sich auf den stillen Buchten.

Dann begegnen wir dem ersten Städtchen. Es ist noch industriefrei; jedoch fließen alle Abwasser in den Fluß. Zwei Mühlen halten das Wasser auf. Der städtische Schmutz setzt sich in den Mühlenteichen ab, die wie Absatzbassins wirken. Doch das Wasser lebt und hat Kraft, es ist reich an Sauerstoff und vermag sich selbst zu reinigen. Eine kurze Strecke unterhalb des Städtchens ist es schon wieder rein. Wir bemerken hier eine Menge Fische, den Barsch, den Aal, den Hecht und von Krustern den Krebs.

Wenige Kilometer weiter erblicken wir hochragende, qualmende Schlote. Es ist eine Holzschleiferei und Holzzellulosefabrik, die sich die Wasserkraft durch Turbinenanlagen nutzbar macht. Bis zu den Fabrikgebäuden ist unser inzwischen zum Fluß ausgewachsener Bach rein und klar, dahinter jedoch milchig gefärbt und unsauber. Die Fabrik gibt ihre Harzseifenwasser und Kalilaugen in den Fluß ab. Hier wird man vergebens den Krebs, den Hecht und den Barsch suchen. Sie brauchen reines Wasser. Erst meilenweit hinter den drohenden Schloten

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Sterbende Gewässer. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 215–219. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Sterbende_Gew%C3%A4sser.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)