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Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

hatte. Arnims Blut wurde am ersten wieder kühl. Er glaubte nicht an die sog. Treue der volksmäßigen Überlieferung, woran Jacob Grimm zähe festhielt. Arnim betonte immer und immer das Recht der frei schaffenden Phantasie jedes einzelnen. Da traf es sich, daß er 1812 in Berlin den Greifswalder Professor Schildener, einen Freund des damals schon verstorbenen Runge, kennen lernte – er ist uns auch aus Runges Hinterlassenen Schriften bekannt –, und nun schrieb Arnim an Jacob Grimm (22. Oktober 1812): „Ein Hauptspaß ist aber wieder, daß mir Schildener erzählte, Runge hätte die Geschichte vom Fischer und siner Fru einigen Schiffern erzählt, die hätten sie aber alle anders wissen wollen – wie aber, das war ihm entfallen – kurz, sie waren so unzufrieden mit ihm, wie Ihr mit Clemens (und seiner freieren Märchenbearbeitung). Schade, daß nicht der Großvater dieses Schiffers dabei war; der hätte den Schiffer geprügelt, weil er ihm die gute alte Geschichte so verdrehe.“ Es ist klar, was auf diese scherzhafte Weise ausgedrückt werden sollte. Wir wissen ja auch von Tieck und Steffens, daß Runge die Fischergeschichte noch auf andere Weise zu erzählen pflegte, als er sie niedergeschrieben hatte. Ja, Grimms selber bringen im Anhang schon ihrer ersten Märchenausgabe abweichende Rezensionen bei. Jacob Grimm, von den Gegengründen nicht überzeugt, half sich der unleugbaren Tatsache dieser Verschiedenheiten gegenüber mit dem vergleichenden Bilde von der Hauptsprache und ihrer Verzweigung in die Mundarten.

Sehr merkwürdig auch, wie Arnim 1812 die beiden Märchen beurteilte und ihrem ästhetischen Werte nach auseinander hielt. Runge selber schon war sich der Ungleichartigkeit des Tones beider Märchen bewußt gewesen: „das erste“, bemerkt er 1806, „ist eigentlich erhaben pathetisch und wird durch die Kümmerlichkeit und Gleichgültigkeit des Fischers sehr gehoben, das andre ist im Grunde mehr wehmütig als traurig, es geht oft ins Fröhliche über.“ „Die Fabel vom Fischer,“ schrieb nun Arnim 1812 an Grimms, „schien mir damals, als ich den Machandelboom abdrucken ließ, kein eigentliches Kindermärchen, und darum nahm ich es nicht auf, weil ich in dem Kreise der bald zu schließenden Zeitung nur recht charakteristische Sagen wünschte. Selbst der Machandelboom war mir wegen einer gewissen darin wohnenden

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1903, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Umbildung_Fischer_und_siner_Fru.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)