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Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

Ich geh dir alles, was du haben willst,
Damit du zum Lohne deine Wünsche stillst.“
„Ei,“ sagte der Fischer, „mir fällt jetzt nichts ein,
Die Frau will ich fragen, was ihr Herz mag erfreun.“

Das Weh der Erinnerung greift bei diesen Worten in Johannes’ Seele, und der Reim, durch den er so gewaltsam in seiner Kinderliebe vom Pfalzgrafen losgerissen worden war:

Mondschein, Mondschein überm Rhein,
Mondschein, Mondschein in dem Rhein,

begleitet als Herzschlag die weitere Erzählung der guten alten Sabina, wie das Weib Papst und Gott werden will, und sein ganzes Geschick, das er seit Jahren nicht bedacht hat, überfällt mit Grausen den horchenden Johannes. Die schreckliche Beziehung des Märchens auf sein eigenes Leben wird ihm plötzlich klar. Er springt vom Fenster zurück und läuft, ohne umzusehen, den Berg hinan, voll Jammer, als habe er alles verloren, als sei alles schon vorbei und ihm bleibe nichts als der ungeheure Absturz in die Tiefe. Diese Flucht aber wirkt dazu mit, daß Johannes und der Pfalzgraf sich endlich wiederfinden, vom neuen Papste entsühnt und glückselig werden.

So finden sich in der Tat beide Arten der literarischen Verwandlung des Märchens, wovon Arnim zu Jacob Grimm 1812 sprach, noch in der Päpstin Johanna wieder. Die gereimte Bearbeitung steht dem Rungeschen Märchen noch sehr nahe, erzählt mit umständlichem Behagen und ist, glaub ich, die frühere Niederschrift Arnims: wie denn überhaupt die Päpstin Johanna ursprünglich in Versen angelegt war. Für die prosaische Gestaltung schickte sich die behagliche Umständlichkeit nicht mehr, Arnim mußte sich kürzer fassen, er ließ sich, den umgebenden Scenen zuliebe, freiere Hand. Dawider streitet keineswegs, daß Arnim, anscheinend im entgegengesetzten Sinne, selbst das gereimte Märchen vom Fische als „andere Gestalt“ des Märchens vom Wasserstar bezeichnet. Er konnte sich auch diese Freiheit gestatten. Und so ist er der erste Herausgeber des einen und der erste Nutznießer des anderen Märchens von Otto Runge geworden.

Friedenau bei Berlin. Reinhold Steig.     
Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1903, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Umbildung_Fischer_und_siner_Fru.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)