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Der alte Voss nahm ihn äusserst übel; die ihm unsympathische, antiklassische Volkspoesie schien hier den dreisten Anspruch zu erheben, sich gleichwertig neben eins der berühmtesten Produkte der Kunstpoesie hinzustellen oder gar als Quelle desselben zu gelten. Gerade die Frage nach der Quelle der Bürger’schen Leonore war seit einem Jahrzehnt zu einer litterarisch noch unerledigten geworden. Namentlich in England hatte Bürgers Leonore wegen ihres an die dort vertraute Percy’sche Sammlung anklingenden Tones grosse Verbreitung gefunden. Bis zum Jahre 1796 waren vier, zum Teil prächtig gedruckte und mit Kupfern gezierte Übersetzungen erschienen. Gleichzeitig wurde in The Monthly Magazine, vom September 1796, grundlos behauptet, dass Bürger seinen Stoff einer englischen Sammlung alter Balladen vom Jahre 1723 – die übrigens bis heute nie ans Licht getreten ist – entnommen habe, wo die Geschichte unter dem Namen the Suffolk miracle or a relation of a young man, who a month after his death appeared to his Sweethart erzählt werde. Im Februarheft des Teutschen Merkurs vom Jahre 1797 berichtete ein Londoner Korrespondent über diesen, wie er ironisch sagte, glücklich ausgewitterten Fund. Wieland als gewandter Redakteur erkannte sofort, dass die Korrespondenz den Keim zu einem interessanten Aufsatze für sein Journal enthalte, und um die Sache seinerseits gleich in Fluss zu bringen, merkte er unter dem Texte an, Bürger habe selbst nie etwas davon erwähnt, dass der Stoff zu seiner Leonore aus einer fremden Sprache entlehnt sei: „Vielmehr pflegte er oft gegen seine Freunde des Ursprungs dieser Ballade so zu erwähnen, dass er durch ein altes niedersächsisches Volkslied, worin das Hurra, hurra hop, hop, hop schon vorkam, auf die Idee des Liedes gebracht worden sey“. Wieland forderte Reinhard, der kurz zuvor seine Prachtausgabe Bürgers angekündigt hatte, oder einen andern von Bürgers vertrauten Freunden auf, den Lesern seines Journals eine befriedigende Auskunft hierüber zu erteilen. Derjenige, der dieser Anregung folgte, war Bürgers Lieblingsschüler August Wilhelm Schlegel: schon im Aprilheft des Teutschen Merkurs 1797 erschien von ihm „Noch ein Wort über die Originalität von Bürgers Leonore“.

Schlegel bezog sich gleichfalls auf ein Gespräch mit Bürger, wonach dieser einige Winke aus einem ihm nie vollständig vorgekommenen plattdeutschen Volksliede den dunkelen Erinnerungen einer Freundin verdanke, die ihm nur wenige Zeilen, darunter

Wo liese, wo lose
Rege hei den Ring

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Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)