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Brentano muss Frau Pattberg namentlich auch nach Melodien gefragt haben. Sie antwortete:

Neckarelz den 8ten Mai [1808].     

Ich übermache Ihnen hiermit noch einige Lieder, von denen allso ⋕ bezeichneten sind mir die Melodien bekannt so wie von noch vielen andern welche Sie schon haben, allein ich kann leider niemand finden der Geschiklichkeit und Gefälligkeit genug besizt sie mir aufzusezen.

Bei diesen Liedern sind manche aus neuern Zeiten, welche aus den poetischen Adern einfacher Landleuthe geflossen sind; ich zweifle ob sie zu Ihrem Zweck dienlich sind; doch mögen sie ein Beweiss sein, dass die Musen sich oft in der Hütte des Landmanns verweilen, und sich dann in der Sprache derer vernehmen lassen, bei denen sie einkehrten. Es soll mich unendlich freuen wenn Sie unter dieser Sammlung etwas entsprechendes finden, was mir in der Folge noch zukömmt werde ich Ihnen mit Freude mittheilen. Mit reinster Hochachtung habe ich die Ehre zu sein

Ihre
ganz ergebenste Dienerin     
A. Pattberg. 

Hier also hatte sie zum erstenmale neuere Lieder beigelegt, deren dem Volke angehörige Dichter ihr noch, wie es scheint, bekannt waren. Ich betone: zum erstenmale; eine so förmliche Entschuldigung wäre sonst nicht von Nöten gewesen. An sich freilich liegt nichts darin, das gegen den volkstümlichen Wert dieser Lieder spräche. Denn Volkslieder sind nicht blos in älteren Zeiten entstanden, und niemals hat sich, wie ich glaube, ein Volks- oder episches Lied von selbst gedichtet. Sondern, ein Dichter, bekannt oder unbekannt, ist es immer gewesen, der befähigt war, Gedanken oder Empfindungen des Volkes den allen zusagenden poetischen Ausdruck zu verleihen.

Von den Melodien fand sich nur noch eine einzige vor. Sie ist ohne jegliche musikalische Gewandtheit von fremder Hand aufgesetzt, darunter aber hat Frau Fattberg selbst geschrieben: „Diese Melodie gehört zu einem Lied aus früher überschickten Sammlungen“. Der Text des Liedes ist nicht mehr da, steht auch nicht im Wunderhorn: diese Weise teile ich, von ihren rhythmischen Mängeln befreit, unten S. 122 bei den Volksliedern mit. Weitere Melodien sind vielleicht in Ludwig Erks Deutschem Liederhort 1853, und demnach in der neuesten Bearbeitung Böhmes, zu suchen. Erk hatte 1845 bis 1854 in Bettinas Auftrage für die sämtlichen Werke Achims von Arnim das Wunderhorn bearbeitet und einen neuen vierten Band – der einst schon 1810 angekündigt worden war – hinzugefügt. Diese Bearbeitung ist hauptsächlich aus zwei Gründen für nicht gelungen zu betrachten: Erk hatte sich kein Gefühl für den inneren Aufbau des Wunderhorns anzueignen vermocht, weswegen er sich befugt hielt, die vermeintliche „bunte Reihe“ aufzulösen und einer „sachgemässeren

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Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)