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Anton Oskar Klaußmann: Spazierstockpflanzungen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Die Rundbiegung am oberen Ende des Stockes, die sogenannte Krücke, kann, soweit sie halbkreisförmig ist, nicht von der Natur erzeugt werden. Wohl aber hat man es in der Hand, die rechtwinklig zum Stock stehende Krücke dadurch zu erzeugen, daß man einen Seitenast, der sich als besonders kräftig erweist, nicht vollständig vertilgt, sondern ihn weiterwachsen läßt. Man muß jedoch dafür sorgen, daß dieser Seitenast stets in derselben rechtwinkligen Lage zum Schößling bleibt.

Die mühevolle Aufzucht dieser Spazierstockschößlinge dauert drei, vier und fünf Jahre, bis sie zwei bis drei Meter lang sind. Dann werden die Stöcke geerntet. Man bringt sie in Werkstätten, wo sie mit Hilfe von mechanischen Sägen auf die Länge von 11/2 Meter geschnitten werden. Dann läßt man sie an der Luft trocken und bringt sie darauf in ein Dampfbad, um die Rinde zu lockern. Letztere läßt sich dann, wie beim Aal die Haut, durch eine geschickte Hand auf einmal von dem Stock herunterziehen. Vermittels rotierender Bürsten wird hierauf der letzte Rest von Rinde und Unsauberkeit von dem Stock entfernt. Stöcke, die eine natürliche Rundkrücke erhalten sollen, kommen abermals in ein Dampfbad, wo sie so weich werden, daß sich der obere Teil des Stockes wie Gummi biegen läßt. Durch Pressung in besonderen Apparaten wird dann der Rundgriff am oberen Ende erzeugt.

Damit ist die Tätigkeit des Pflanzers beendet. Die Stöcke werden jetzt in Pakete zu 50 und 100 Stück gepackt und an die eigentlichen Stockfabrikanten verschickt. Camus hat stets ungefähr zwei Millionen Spazierstöcke auf Lager. Er ist auch der Erfinder der Spazierstöcke aus Krautstrünken. Es ist ihm nämlich gelungen, bei einer Kohlart[WS 1] durch besondere Maßnahmen den Strunk so hoch zu treiben, daß er zu Spazierstöcken verwendet werden kann. Diese Stöcke aus getrockneten Krautstrünken sind sehr dick, aber überraschend leicht und werden gern und viel gekauft.

Frankreich ist natürlich nicht das einzige Land, welches Spazierstöcke erzeugt. In Europa ist das nächstgrößte Produktionsland Österreich-Ungarn mit seinen zahlreichen guten Holzarten. Spanien liefert das bekannte spanische Rohr,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist wahrscheinlich der Palmkohl.
Empfohlene Zitierweise:
Anton Oskar Klaußmann: Spazierstockpflanzungen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1909, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spazierstockpflanzungen.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)