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zu dem vornehmen hessischen Adel gehörte und einmal der reichste Gutsbesitzer des Landes werden sollte. Doch hat es mich nie geschmerzt, vielmehr habe ich oft hernach das Glück und auch die Freiheit mäßiger Vermögensumstände empfunden. Dürftigkeit spornt zu Fleiß und Arbeit an, bewahrt vor mancher Zerstreuung und stößt einen nicht unedlen Stolz ein, den das Bewußtseyn des Selbstverdienstes, gegenüber dem, was andern Stand und Reichthum gewähren, aufrecht erhält. Ich möchte sogar die Behauptung allgemeiner fassen, und vieles von dem, was Deutsche überhaupt geleistet haben, gerade dem beilegen, daß sie kein reiches Volk sind. Sie arbeiten von unten herauf und brechen sich viele eigenthümliche Wege, während andere Völker mehr auf einer breiten, gebahnten Heerstraße wandeln. In Marburg hörte ich nach einander bei Bering Logik und Naturrecht (ohne aus beiden wahre Frucht zu ziehen); bei Weiß Institutionen, Pandekten, zuletzt auch ein lat. Examinatorium; bei Erxleben Pandekten und Canonicum, bei Robert Reichsgeschichte, Staatsrecht, Lehnrecht und die Practica; bei Bauer deutsches Privatrecht und Criminale; unter diesen allen zog mich wohl der muntere und gelehrte Vortrag von Weiß am meisten an, bei Erxleben herrschte Eintönigkeit und eine bereits veraltende Manier. Was kann ich aber von Savigny’s Vorlesungen anders sagen, als daß sie mich auf’s gewaltigste ergriffen und auf mein ganzes Leben und Studieren entschiedensten Einfluß erlangten? Ich hörte bei ihm Winter 1802 bis 1803, juristische Methodologie, sowie Intestaterbfolge (das im Sommer 1802 von ihm gelesene testamentarische Erbrecht wurde aus Heften anderer Studenten abgeschrieben und nachgeholt); Sommer 1803 römische Rechtsgeschichte, Winter 1803–4 Institutionen und Obligationenrecht. Im Jahr 1803 war das Buch über den Besitz erschienen, welches begierig gelesen und studiert wurde. Savigny pflegte damals in seinen Kollegien den Zuhörern die Interpretation einzelner schwieriger Gesetzstellen aufzugeben und die eingegangnen Arbeiten erst schriftlich auf dem eingereichten Bogen selbst und dann öffentlich zu rezensiren. Einer meiner ersten Aufsätze betraf die Collation, und ich hatte die darin aufgestellte Frage vollkommen begriffen und richtig gelöst; welche unbeschreibliche Freude mir das machte und welchen neuen Eifer das meinen Studien gab, wäre zu bemerken unnöthig. Das Ueberbringen dieser Ausarbeitungen veranlaßte nun öftere Besuche bei Savigny. In seiner damals schon reichen und auserwählten Bibliothek bekam ich dann auch andere nicht juristische Bücher zu sehen, z. B. die Bodmer’sche Ausg. der deutschen Minnesinger, die ich später so oft in die Hand nehmen sollte, und auf welche Tieks

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)