Ein hartes Wort schwebte Richard auf der Zunge, aber er überwand sich und fuhr nach kurzer Pause fort:
„Grünes Weinlaub umrankt die enge Fensteröffnung einer Klosterzelle. Frühlingshauch trägt die Düfte des blühenden Flieders herein, und ein schmaler Sonnenstreifen gleitet vorwitzig bis auf das weiße Pergament, auf welchem ein prächtiger Anfangsbuchstabe im Entstehen begriffen ist. Ein Mönch sitzt davor und glättet an dem Goldgrund, den er sorgfältig aufgetragen; seine Gedanken sind ganz bei dem kleinen Bilde, welches die heilige Geschichte zieren soll. Da verschiebt er ein wenig das Pergament, die Sonne trifft auf das Gold und das glättende Elfenbein, und aus dem Golde löst sich das kleine schimmernde Glimmerstäubchen. Der Mönch weiß nicht, daß er es sieht, aber wie es im Lichte tanzt, muß sein Auge dem Sonnenstreifen folgen, bis dieser im grünen Weinlaub sich verliert, und nun — — Er sieht nicht mehr die Zelle und das Fenster, die stille Laube erblickt er im Ritterhofe des Vaters, wo er vor Jahren gestanden, und schaut in zwei milde blaue Augen und ein Antlitz, von Liebe leuchtend, das sich ihm zuneigt. Mit beiden Händen hält er Mathildens Hand umfaßt, und ihre Worte vernimmt er wieder, wie er zum letzten mal sie hörte: „Leb wohl, mein Freund!“ Verlieren soll er sein Glück und seine Hoffnung und weiß doch, daß sie ihn liebt, heiß und innig, und elend ist im Scheiden, wie er. Warum, o warum? „Es muß sein, mein Freund. Lieben ist süß, und Gehorsam ist bitter; aber gehorchen werd’ ich und folgen dem Gebote des
Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/31&oldid=- (Version vom 21.8.2021)