Charakter und Bildung zu bewahren, um nicht ganz in der großen Masse zu zerfließen. Manchmal kamen Tiere zum Wasser, um zu trinken, und Menschen, um zu schöpfen. Aber Tröpfchen wurde nicht getroffen.
Eines Abends jedoch fühlte es sich auf einmal emporgehoben, und als es umschaute, fielen die Strahlen der untergehenden Sonne durch das Glas einer dunkelgrünen Flasche, in welcher es sich unversehens gefangen hatte. Ein Mann hielt sie gegen das Licht, er war noch jung, aber bleich, und düster war sein Blick.
„Du hast auch lange nichts gesehen als Wasser,“ sagte er zu der Flasche.
„Ich dachte, es würde auf ein Maß Wein reichen für die kranke Frau, aber bei der Ablöhnung — ja, Mahlzeit! da gab’s einen Abzug dafür und einen dafür — Und dabei muß man’s Maul halten, wenn man nicht vor der Thür sitzen will. Verdammt!“
Er nahm einen Zug aus der Flasche. Tröpfchen klammerte sich ängstlich an den Boden, um nicht verschluckt werden.
Der Mann stellte die Flasche neben sich, holte eine Pfeife heraus und suchte den letzten Tabak in seiner Tasche zusammen.
„Er ist auch wieder teurer geworden,“ murrte er, „kaum bringt man’s noch zu einer ordentlichen Pfeife. Und bei allem Sparen will’s nicht einmal zur Miete reichen. Wär’ nur die Frau erst wieder gesund!“
Er schüttelte die Flasche, daß Tröpfchen jämmerlich zerstoßen wurde.
Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/222&oldid=- (Version vom 20.8.2021)