Auf einmal wurde es hell um ihn am Waldesrand, die Steine funkelten wieder im Sonnenschein, und der Bach machte einen kühnen Sprung darüber. Beim letzten Abprall fühlte sich der Tropfen neu gerundet und schnell entschlossen sprang er zur Seite, bekam glücklich ein Farnkraut zu fassen und barg sich im kühlen Schatten eines großen Felsblocks. Den Stein umspannten die Wurzeln einer alten Fichte, die hier als aldwärter in die Lüfte ragte.
„Das war Dein Glück, Tröpfchen,“ sagte das Farnkraut. „Du kommst hier in eine sehr gebildete Gesellschaft.“
„Glück? Dummes Zeug!“ brummte der Felsblock. „Die Bildung macht’s nicht, und wenn ich nicht hier wäre, thätest Du besser, Dein Glück wo anders zu suchen.“
„Sie haben überhaupt keine Bildung,“ sagte die Fichte. „Darin eben liegt’s, daß Sie mich nicht verstehen. Sie sind nur eine rohe, ungestaltete Masse, ein gewöhnlicher Kalkstein; Sie sind nicht einmal krystallinisch, und das könnte man doch von Ihnen verlangen. Hätte ich das vor hundert Jahren gewußt, so hätte ich Ihnen niemals meine Wurzel gereicht.“
„Man merkt es, daß Sie alt geworden sind,“ erwiderte der Stein.
„Das ist eben das Schöne an der Bildung, daß sie fortschreitet. Ich habe Figur, ich habe Wurzeln und Stamm und Nadeln, ich habe Tüpfelzellen und einen Kreislauf, ich atme Kohlensäure und ich erzeuge
Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/211&oldid=- (Version vom 20.8.2021)