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der Weisheit nennt, der muß doch die Weisen kennen. Der Mann betrachtete mich aufmerksam.

„Was verstehen Sie überhaupt unter einem Weisen?“ fragte er mich.

„Ich verstehe darunter einen Mann,“ sagte ich, „welcher die Welt kennt und in ihr lebt, aber nicht nach ihr strebt; welcher die Wahrheit sucht, ohne auf Ruhm zu hoffen; welcher die Menschen liebt und Gutes wirkt, aber nach Lohn und Dank nicht fragt; welcher niemand verachtet, weil er anders sei und anders denke, als er; welcher glücklich ist, weil er frei ist, milde, weil er gut, und bescheiden, weil er groß ist.“

„Sie sagen mir da nichts Neues, lieber Herr,“ erwiderte der Philosoph; „diese ethischen Qualitäten, welche Sie aufzählen, erstreben wir alle in gewissem Sinne; sie kommen durchaus nicht bloß irgend welchen hervorragenden Geistern zu. Aber eben darum besagt Ihre Definition zu viel. Sie werfen das Ideal eines Gelehrten und das Ideal eines Menschen zusammen. Das mochte zu einer Zeit statthaft sein, als die griechischen Sophoi lebten, Bildung nur wenig Bevorzugten zukam und die ganze Wissenschaft in nichts anderm bestand, als in ein wenig Lebensweisheit, verquickt allenfalls mit einigen mystischen Spekulationen à la Pythagoras. Aber heutzutage haben wir Teilung der Arbeit einerseits, Gleichberechtigung der Menschen andererseits. Weise sein, in Ihrem Sinne der Lebensweisheit, kann ein jeder, ohne gelehrt zu sein, und es kann jemand sehr gelehrt sein, ohne eine Spur von

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Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/130&oldid=- (Version vom 20.8.2021)