nicht, daß draußen der Tag längst angebrochen war, als wir durch die laute Stimme der Mutter aufmerksam gemacht wurden. Noch hofften wir verborgen bleiben zu können. Wir lauschten mit unsern Ferntastern. Sie stritt mit Lydia und verlangte von ihr den Schlüssel des Schränkchens. Plötzlich wurden wir vom hellen Tageslicht geblendet, das durch die geöffnete Thür schien. Die Mutter guckte herein, aber ehe wir uns retten konnten, schlug sie die Thür wieder zu und schrie:
„Wieder Ameisen! Ein ganzes Nest! Und über den Honig sind sie auch gegangen. Wo ist der Spiritus? Wir wollen sie hineinthun, Ameisenspiritus ist so gut gegen Rheumatismus. Ich will nur ein Töpfchen holen.“
Ameisenspiritus! Entsetzlich! Was wollte man mit uns? Zerquetschen? Ertränken? Und nirgends eine Rettung? Wir kletterten zum Schlüsselloch; es war unzugänglich, der Schlüssel steckte darin — kaum ein Keulenkäferchen hätte sich durchdrängen können. Nirgends ein Spalt, eine Ritze, überall die glatte Politur — wir rannten ohne Überlegung umher. Da öffnet sich noch einmal die Thür auf einen Moment, Lydias Hand greift hinein und erfaßt das Päckchen Papier, das sie schnell in ihre Tasche gleiten läßt. Einige von den unsern werden dabei hinausgeschleudert und vernichtet. Die Thür ist wieder geschlossen. Wir hören die Alte zurückkommen, sie ruft nach dem Spiritus — da, beim Herausreißen der Papiere hat sich der Deckel eines Pappkästchens verschoben, wir kriechen durch den schmalen Spalt. Auf Watte lag ein großer gewundener Wurm
Kurd Laßwitz: Seifenblasen. Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1890, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seifenblasen-Kurd_La%C3%9Fwitz-1890.djvu/108&oldid=- (Version vom 20.8.2021)