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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland



1. Wie der Großvater zum Fasten kam und die Großmutter schatzgraben ging.




Nicht allzuviel vermag ich von meinem Großvater väterlicherseits zu erzählen. Er soll freilich, wie man mir sagte, in meine Wiege hineingeschaut und sich über den wohlgenährten Enkel gefreut haben. Aber Egoist von Natur, wie solche kleine Wiegenbengel sind, und viel zu sehr mit meiner eigenen Person und meinen ersten Gedanken be­schäftigt, habe ich von ihm entweder keine Notiz genommen oder sein Bild aus meiner Erinnerung gestrichen. Er hieß, wie ich nachher gehört, Otto Hermann, und war, obgleich im Lande geboren, doch fast ein Fremder darin, d. h. ohne Verwandtschaft oder Anhang. Sein Vater war nämlich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus „Schweden,“ wie die Leute sagten, eingewandert und früh gestorben. Dies Schweden konnte übrigens ebensogut Livland oder Finnland sein; denn in jenen gut herzoglichen Zeiten hieß in Kurland alles, was jenseits der Düna lag, noch oft genug „schwedisch,“ auch als der russische Adler den schwedischen Löwen schon seit etlichen Jahrzehnten verdrängt hatte. Als kleiner Knabe schon vater- und mutterlos, war mein Großvater und seine gleichfalls in zartem Alter stehende Schwester von der Baronin Hörner in Ihlen aufgenommen und erzogen worden. Nur gering mochten darum die Ver­bindungsfäden sein, die noch zwischen ihm und der ur­sprünglichen

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/3&oldid=- (Version vom 21.9.2022)