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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

sie alle, so lange sie noch in ihren Sünden sind.“ Gesagt, gethan. Der Böse kam in der nächsten Nacht mit seiner weißen Stute angefahren und schleppte Steine auf Steine zusammen. Schon stieg das Wasser, schon war er seinem Ziele nah, — da krähte der Hahn, diesmal etwas früher als sonst, — und des Teufels Werk blieb unbeendet stehen. Als aber am Morgen die Goldinger erwachten und sahen, welcher schrecklichen Gefahr sie entronnen waren, da dachten sie bei sich selbst: „Allzu scharf macht schartig!“ und be­kamen seit jener Zeit eine solche Angst davor, fromm zu werden oder auch nur in die Kirche zu gehen, daß man sie gar nicht hineinkriegt. — So die mutwillige Sage. Aber wenn je die Wirklichkeit im Widerspruch mit der Dichtung stand, so hier. Hat es dort vielleicht einmal leere Kirchen gegeben, so mag das seine Gründe gehabt haben. Ich habe sie stets voll, ja fast zu voll gefunden. Es war schwer, einen Platz zu erhalten. Sicher darf eine Stadt, deren evangelische Bevölkerung, zur Hälfte Letten, noch nicht 4000 betragen mag und die sich neben einem von der Ritter­schaft gegründeten Gymnasium, einer städtischen Töchter­schule, einer Bürgerschule, eines Diakonissenhauses, einer wohlorganisierten Armenpflege erfreut und für die Unter­stützung der Glaubensgenossen in der Diaspora und für die Mission den lebhaftesten Eifer an den Tag legt, vielen andern zum Vorbild dienen. Und das müssen wir auch von einem anderen Städtchen halten, das sich die neckische Sage in ähnlicher Weise zur Zielscheibe genommen hatte. Kaum nämlich hatte die Tante oder die Mutter jenes Geschichtchen über die Entstehung der Rummel vom Stapel gelassen, so brachte der Vater lächelnd die andere von dem alten Pastor Loskiel in Tuckum in Erinnerung. „Der Mann,“ erzählte er, „war sehr eifrig in seinem Amt, ohne daß er sich hätte sagen können, daß seine Tuckumer sich

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/181&oldid=- (Version vom 21.9.2022)