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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Auch wir Kinder kamen mit dem an die Reihe, was wir gelesen hatten und wieder erzählen konnten, oder was der eigne Genius uns eingab. Geduldig hörte der alte Mann uns an, auch wenn man, — wie ich mich von meinem ersten poetischen Versuch entsinne, — nicht über einen un­gewöhnlich begabten Rehbock hinauskam, der seine Gäste mit Pudding bewirtete. In jener Zeit hörte ich auch zum erstenmal ein paar kurische Sagen, in welchen der Volks­witz sich auf Kosten einiger kleinen Städte lustig macht. Soviel ich mich entsinne war’s aber nicht der Großvater, der sie erzählte. Er mochte daran Anstoß nehmen, daß dem Teufel in ihnen eine Rolle zugeschrieben wird. Nicht daß er wie unsere Alten eine fromme Scheu gehabt hätte, den Feind der Seele mit Namen zu nennen, der auch un­gerufen kommt; aber es schien ihm wohl unpädagogisch, dergleichen in Gegenwart so kleiner Gesellschaft wieder zu erzählen, selbst wenn der „Gottseibeiuns“ auch nur die Rolle eines dummen Teufels, wie so oft in der Volkssage, zu spielen hatte. Vielleicht war es eine der Tanten, die jene Sage erzählte, die sich an den Wasserfall bei Goldingen, gewöhnlich die Rummel genannt, knüpft. Vor vie­len, vielen Jahren, hieß es, war Goldingen eine große, reiche Stadt, aber die Einwohner waren Heiden und lebten ärger als Sodom und Gomorrha. Im ganzen weiten Kur­land hatte der Teufel kein lieberes Plätzchen, als dies. Als nun aber die Boten Christi ins Land drangen und dort­hin kamen, da thaten die argen Heiden Buße im Sack und in der Asche und ließen sich taufen einer nach dem andern, so daß dem Teufel bange ward. „Laß ich das so fort­gehen,“ sprach er bei sich selbst, „so gehen mir schließlich all diese Seelen verloren; sie lassen sich alle taufen; das ist klar! Ich weiß, was ich thun will: quer durch die Windau bau ich einen Damm, staue das Wasser und ersäuf

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/180&oldid=- (Version vom 21.9.2022)