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und Tugend nicht geboren, wohl aber zu Grabe getragen werden. – So nun in sich selbst zurückgezogen und die Einsamkeit liebend, war sie ein ausgezeichnetes Muster jungfräulicher Sittsamkeit, – eine Freundin des Gebetes und der Betrachtung göttlicher Dinge, bis Gottes heil. Wille sie zum Ehestand rief. Arm und dürftig an Aussteuer, aber desto reicher an Frömmigkeit und Tugend, trat sie diesen Stand an, und hatte in demselben wohl manches bittere und schwere Leiden zu bekämpfen, indem ihr der Tod nach wenigen Jahren ihren ersten Gatten entriß, und nach einer zweiten Vermählung sie bald wieder zur Wittwe machte.


Erfüllt vom Geiste des Christenthumes, war es nun ihr einziges Bestreben, zurückgezogen von der Welt in der stillen, verlassenen Einsamkeit eines dürftigen und armseligen Kämmerleins, als eine fromme und christliche Wittfrau Gott zu dienen. Welch ein herrliches Vorbild für alle christlichen Wittwen! Ob sie nun gleich, wenigstens in den letzten Jahren von aller Hilfe verlassen, kümmerlich leben mußte, wollte sie doch lieber Noth und Elend dulden, als wegen Nahrungssorge jemand lästig fallen; und sie war bei aller ihrer Armuth so zufrieden, und dankbar für manchen wohlthätigen Bissen, als wäre sie schon halb in den