Eines der herumstreifenden Mädchen forderte ihn zum Mitgehen auf. Es war ein zierliches, noch ganz junges Geschöpf, sehr blaß mit rotgeschminkten Lippen. Könnte gleichfalls mit Tod enden, dachte er, nur nicht so rasch! Auch Feigheit? Im Grunde schon. Er hörte ihre Schritte, bald ihre Stimme hinter sich. „Willst nicht mitkommen, Doktor?“
Unwillkürlich wandte er sich um. „Woher kennst du mich?“ fragte er.
„Ich kenn’ Ihnen nicht,“ sagte sie, „aber in dem Bezirk sind ja alle Doktors.“
Seit seiner Gymnasiastenzeit hatte er mit einem Frauenzimmer dieser Art nichts zu tun gehabt. Geriet er plötzlich in seine Knabenjahre zurück, daß dieses Geschöpf ihn reizte? Er erinnerte sich eines flüchtigen Bekannten, eines eleganten jungen Mannes, dem man ein fabelhaftes Glück bei Frauen nachsagte, mit dem er als Student nach einem Ball in einem Nachtlokal gesessen hatte und der, ehe er sich mit einer der gewerbsmäßigen Besucherinnen entfernte, Fridolins etwas verwunderten Blick mit den Worten erwidert hatte: „Es bleibt immer das Bequemste; – und die Schlimmsten sind es auch nicht.“
„Wie heißt du?“ fragte Fridolin.
„No, wie wir i denn heißen? Mizzi natürlich.“ Schon hatte sie den Schlüssel im Haustor umgedreht, trat in den Flur und wartete, daß Fridolin ihr folgte.
Arthur Schnitzler: Traumnovelle. Berlin, S. Fischer 1926, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schnitzler_Traumnovelle.djvu/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)