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Walther Kabel: Schlangenhöhlen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 222–225

wurde ein Ort zum Lagerplatz ausgewählt, der eine gute halbe Meile von der Grotte entfernt lag. Man wollte hierdurch verhüten, daß die Reptilien nicht etwa, durch die Anwesenheit so vieler Menschen erschreckt, ihren Versammlungsort plötzlich mieden. Sodann begann man zunächst durch Beobachtung der Tiere festzustellen, zu welcher Tageszeit die größte Anzahl in der Höhle vereinigt war. Nach diesen Vorbereitungen transportierte man die für die Schlangen bestimmten hölzernen Transportkisten bis dicht vor die Höhle, deren Eingang hierauf durch einen vorher möglichst genau ausgepaßten, mit geölter Leinwand bespannten Holzrahmen verschlossen wurde. Diese Tür besaß in geringer Höhe über dem Erdboden einige Öffnungen, durch die die Reptilien – darauf zielte die Absicht der Jäger hin – möglichst einzeln herauskriechen sollten. An langen, aus mehreren Teilen zusammengeschraubten eisernen Stangen wurden nun brennende Wergbüschel, die mit einer besonderen Flüssigkeit getränkt waren, in die Höhle hineingeschoben. Diese Flüssigkeit, in ihrer Zusammensetzung ein Geheimnis Worbsters, erzeugte einen sehr starken, betäubenden Qualm, der die Schlangen aus ihrem Versteck durch die vorgesehenen Öffnungen ins Freie hinaustrieb, wo sie dann, die giftigen Exemplare mit besonders konstruierten Zangen, ergriffen und in den Transportkästen untergebracht wurden. Leider kamen bei dieser seltsamen Treibjagd sechsunddreißig Tiere in der mit erstickenden Dünsten erfüllten Höhle um, darunter auch eine Pythonschlange von neun Meter Länge, was für Worbster einen großen Verlust bedeutete. Trotzdem aber soll der englische Tierhändler bei dem Unternehmen, wie erwähnt, ein kleines Vermögen verdient haben. Auch auf Borneo, der größten der Sundainseln und nächst Neuguinea der größten Insel der Erde, liegt in dem Sultanat Brunei an der Quelle eines kleinen Nebenflusses des Limbong eine Schlangenhöhle, die noch in den achtziger Jahren in dem Gerichtswesen des malaiischen Küstenreiches eine besondere Rolle spielte. Diese Höhle besitzt eine Unzahl von engen Eingängen, die wohl für die geschmeidigen Reptilien, nicht aber für Menschen passierbar sind. Nur eine einzelne über der Mitte der Grotte gelegene Öffnung ist weit genug, um den Körper

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Walther Kabel: Schlangenhöhlen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 222–225. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schlangenh%C3%B6hlen.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)